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Karl Waetzmann

     

Die Stadt Vohenstrauß im Jahre 1945 - eine authentische Dokumentation


Der Oberlehrer a. D. Karl Albert Otto Waetzmann kam am 11. Juni 1945 als Flüchtling aus Schlesien nach Vohenstrauß. Geboren am 4. Mai 1885 in Groß-Wartenberg/Schlesien, kam er über Blisowa/Böhmen nach Vohenstrauß. Er verstarb am 11. Mai 1966 in Metelen/Westfalen.  Karl Waetzmann hat die Recherchen über die Begebenheiten in der Stadt und dem Altlandkreis Vohenstrauß in den Jahren 1948 bis 1951 auf Bitten der Stadt Vohenstrauß gegen Honorar durchgeführt. Die Erinnerung war noch frisch, die Daten zuverlässig. Er führte Recherchen durch, befragte seinerzeit Zeitzeugen, holte Informationen von allen möglichen Stellen und Personen ein und schrieb die Dokumentation auch nach eigenem Erleben. Es entstand ein Geheft von ca. 132 Schreibmaschinenseiten, das in der vorliegenden Fassung sprachlich unverändert, wenn auch gekürzt wiedergegeben wird. Die Kürzungen beziehen sich lediglich auf allgemeine Ausführungen, die mit der Vohenstraußer Situation nicht direkt zusammenhängen. Der Übersichtlichkeit halber wurde der Text vom Herausgeber in Kapitel aufgeteilt und mit zusätzlichen Überschriften bzw. auch Fußnoten versehen. (Bearbeitung: Peter Staniczek)

Vorbemerkung  

   

Auf Anregung des derzeitigen Bürgermeisters, Herrn Schuhmachermeister Erhard Wagner, und des Stadtoberinspektors, Herrn Josef Dietl, Sohn des Schneidermeisters Josef Dietl, von hier, habe ich es unternommen, Leben und Zustände der Stadt Vohenstrauß im Schicksalsjahr 1945, wie es sich mir aus Aussagen, Aufzeichnungen und eigenem Erleben darstellte, zu schildern, um sie für spätere Zeiten festzuhalten und so dem Vergessen zu entreißen. [...]

Welches Elend damit verbunden war und welches große Leid die Folge davon sein mußte, davon sollen auch diese Blätter im folgenden künden.

 

Januar - März 1945 - Flüchtlinge, Flieger, Furcht

 

[...] Wir tun vielleicht gut, chronologisch vorzugehen und nicht nur die eigentliche Besetzung der Stadt durch die amerikanischen Truppen - am Dienstag, dem 24. April 1945 - zu schildern, sondern das ganze Schicksalsjahr 1945 an unserem geistigen Auge vorüberziehen zu lassen.

 

Das Jahr 1945, als letztes Kriegsjahr, bereitet Deutschland durch die heftigen Fliegerangriffe auf große Städte viel Sorgen. Am 2. Januar hatte Nürnberg einen schweren Fliegerangriff durchzumachen, viele Angehörige aus Vohenstrauß werden mit betroffen und haben große Verluste. Kirchen, die Burg und viele Gebäude werden zerstört, viele Menschenleben vernichtet.

 

Am 16. und 21. Januar überfliegen starke Fliegerverbände Vohenstrauß.

Der 20. Januar ist der Sonntag für das Volksopfer.

Am 29. Januar wird die Haushaltungsschule des hiesigen Klosters als Aushilfskrankenhaus, für aus Oberschlesien geflüchtete Kranke, mit 60 Betten eingerichtet.

Durch Kohlenmangel und schlechte Lokomotiven tritt ein unregelmäßiger Zugverkehr ein. Die Schulen sind wegen Kohlenmangels geschlossen.

Am 1. Februar findet eine Beerdigung (kath.) ohne Beteiligung der Kirche, nur unter Teilnahme der Partei, auf dem hiesigen Friedhof statt.

Starke Fliegerverbände überfliegen am 5. Februar die Stadt.

Nun treffen außer schlesischen, auch ostpreußische Flüchtlinge hier ein und finden Aufnahme. Sie kommen auf Lastwagen an und sind völlig erschöpft, da unterwegs die Verpflegung recht mangelhaft war. Die Hoffnung auf eine günstige Wendung des Krieges ist durch den Einbruch der Russen im Osten völlig geschwunden.

Auch in Vohenstrauß wird der Volkssturm[2] aufgerufen. Er soll den Heeresverbänden zur Auffüllung der Lücken zugeteilt werden. Darüber ist hier große Erregung. Es verläuft aber schließlich alles im Sande, und der Volkssturm tritt nicht in Tätigkeit.

Die 72. Lebensmittelperiode (5.2.-4.3.) wird, mangels an Zufuhr, stark gekürzt.

Am 15. Februar wird das Hilfskrankenhaus und die Hauptschule durch Alte, Kranke und Sieche, aus Köln kommend, belegt. Sie wurden hierher von Regensburg überwiesen.

Weiden wird von Fliegerverbänden angegriffen - trotz Bordwaffenbeschuß entsteht in der Stadt nur wenig Schaden.

Um den 20. Februar werden SS-Verbände[3] in die hiesige Stadt und Umgebung gelegt.

Wieder wird Nürnberg durch starke Verbände angegriffen (19. - 24. Febr.). Bombeneinschläge sind hier gut zu hören.

Der Schulunterricht ist ganz eingestellt worden (27. Febr.).

Am 28. Februar abends 8 Uhr, Ankunft von zwei Lastwagen, von Tachau/Tschechoslowakei kommend, mit etwa 90 Flüchtlingen aus Glogau/Schlesien. Sie werden verpflegt und untergebracht.

Der Monat März brachte Kälte und reichlich Schneefall. Dadurch wurde die Not der Flüchtlinge noch größer. Dazu kam noch die Kohlenknappheit. Beide Kindergärten, die so dringend notwendig waren, mußten geschlossen werden. Die Räume wurden den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Die Sterblichkeit der durch die Flucht sehr geschwächten Menschen war groß. Wie dankbar waren sie, die oft viele Tage frierend auf Wagen und Autos gesessen und nichts Warmes bekommen hatten, nun in ein warmes Zimmer zu kommen und warmes Essen in Empfang nehmen zu dürfen. [...] Am 2. März kamen zwei Lastwagen, vollständig verschneit, mit Flüchtlingen aus Bunzlau/Schlesien, die in den Kindergärten untergebracht wurden, wo ein warmes Lager sie erwartete. Auf den Straßen und Gassen wehte ein eisiger Nordostwind. Die kleinen Kinder und Säuglinge litten besonders unter der grimmigen Kälte, viele starben. Die körperliche und seelische Not unter den Menschen war entsetzlich groß. Kleinere und größere Trecks zogen hier durch und rasteten nur stundenweise, um wenigstens ihre Tiere etwas ausruhen zu lassen. Sie alle konnten aber mit einer warmen Suppe - Ausgabe im Gasthaus „Wilder Mann“ in der Friedrichstraße - oder sonst durch warmes Essen, daß die Einwohner bereitwillig hergaben, gestärkt werden.

 

Kinderlandverschickung - Kriegsgefangene - KZ-Häftlinge[4]

 

In Eslarn war ein KLV-Lager [5] mit etwa 120 Oberschülern. Sie hatten die dortige Schule als Lager bezogen und mußten nun, da die Schule als Lazarett für eine SS-Formation gebraucht wurde, diese am 10. März räumen. Sie wurden nach hier verlegt. So wurde das hiesige Auffanglager im Kindergarten geräumt und von dem KLV-Lager übernommen.

 

Am 27. März passierten Tausende von Kriegsgefangenen aus aller Herren Länder, auch Farbige, unsere Stadt, sie kamen von Norden und zogen nach Süden mit unbekanntem Ziel. Nach der mitgeführten Gullaschkanone zu urteilen, verpflegten sie sich anscheinend selbst. Die Kranken und Schwachen wurden auf Pferdewagen mitgeführt. Die Gefangenen durchzogen die Stadt viele Tage.

In der Nacht vom 26. zum 27. März wurden die Einwohner durch Alarm aufgeschreckt. Er galt der SS-Formation. Ein Funkspruch rief sie an die Front. Hastig und lärmend verließen sie am frühen Morgen die um ihre so nötige Nachtruhe gebrachte Stadt. Es sickerte durch, daß Hitler in dieser Nacht durch Vohenstrauß angeblich gekommen sein sollte, um sich zu Besprechungen mit seinen Stäben nach dem Zottbachhaus oder nach Pfrentsch zu begeben. Genaueres war nicht in Erfahrung zu bringen. Eine Zeitlang war das Hauptquartier mit General Kesselring in dem Dorfe Pfrentsch bei Waidhaus (siehe später unter Bericht über Pfrentsch, Teil II).

 

April 1945 - SS, Volkssturm, Wehrwolf, Wehrmacht

 

Inzwischen war auch das Wetter milder geworden und der Schnee teilweise verschwunden. Die Sonne meinte es schon gut und schien warm vom wolkenlosen Himmel. So war der 1. April ein schöner Ostertag. Die Glocken beider Kirchen riefen die Gläubigen zum Gottesdienst, der von Flüchtlingen stark besucht war.

An diesem Tage geschah auch der Aufruf an den „Werwolf“ [6], sich für Restdeutschland einzusetzen, den Herr Goebbels verlas. Die Glieder des Werwolfes, bewaffnete, unreife Jungen, waren zum größten Teil noch unmündige Kinder, 14 - 17jährige. Sie wollte man für eine schon verlorene Sache - denn der Krieg war praktisch verloren - noch einsetzen und opfern, um das eigene, kostbare Leben um einige Tage oder Wochen zu verlängern. Man sah wohl sehr genau schon kommende Strafe und Vergeltung. Ich höre noch Goebbels rufen:

„Jungens, krallt euch in den Boden mit Händen und Zähnen und verteidigt euer „Vaterland“ mit Einsetzung eures Blutes. Tut dem Feinde Abbruch, wo ihr könnt; der Sieg wird euch dann sicher sein. Und - Gott wird euch beistehen!“

Wenn Goebbels und Hitler Gott anriefen - sonst sprach man immer nur von der Vorsehung - dann stand unsere Sache schlecht und dann hatten wir irgendwo eine Schlappe erlitten.

 

Ja man schämte sich nicht, unsere Frauen aufzufordern, wie im Mittelalter, auf die feindlichen Soldaten heißes Wasser zu gießen, um so die Alliierten zu vernichten. Das konnte aber auch nur ein Mann wie Goebbels anempfehlen, der nie Soldat war und von dem Ernst eines Kampfes vielleicht gelesen, aber ihn nie erlebt hatte [...]

 

Nun kam der Befehl, Panzersperren anzulegen - auch eine Sache, die den Ausgang des verlorenen Krieges nicht aufhalten konnte. [...] Auch Vohenstrauß mußte derartige Panzersperren an den Ortsausgängen anlegen. Am 8. April traf eine Pionierabteilung hier ein, die bei der Holzbeschaffung behilflich war und auch Angaben über die richtige Anlage der Sperren machte. Sie verließen aber bald wieder die Stadt.

 

Am 11.4. durchfuhren bei Tag und Nacht Lastkraftwagen, besetzt mit Soldaten, die Stadt. Ab und zu blieben einige da, wurden einquartiert und verpflegt. Ihre Stimmung war nicht gut, vielmehr niedergedrückt und mutlos. [...]

Der Stab -  mit den Generälen - lag in Eslarn. Generalfeldmarschall von Rundstett war in Vohenstrauß und wohnte im Gasthaus zum „Wilden Mann“. Starke feindliche Fliegerverbände überflogen Vohenstrauß, sie griffen Grafenwöhr an.

Der evgl. Kindergarten wird, mit Genehmigung des Landrats Schindelbeck, wieder eröffnet; er mußte aber in die Baracke des Kinderheimes umziehen. Schwester Luise Albert betreut die Kleinen.

 

Am 12. April verkündigte der Rundfunk den Tod des amerikanischen Präsidenten Roosevelt.

Die Eisenbahnzüge auf der Strecke Weiden - Eslarn verkehren nur noch bis Lohma, da in Pfrentsch das Hauptquartier mit General Kesselring lag und alles abgesperrt wurde (Näheres siehe Teil II über Pfrentsch).

Die Lazarette Eslarn und Waidhaus werden aufgelöst. Die Gebäude sollen anderen Zwecken zur Verfügung gestellt werden. Der Abtransport der Kranken und Verwundeten geschah in kürzester Zeit, fast fluchtartig. Das so lange, noch während des Krieges, bestandene friedliche Bild der Stadt und Umgebung muß nun einem kriegerischen Platz machen.

 

Am 13. April wird in die Stadt wieder viel Wehrmacht gelegt; Nachrichtentrupps, Pioniere, Infanterie und Stäbe mit Kraftfahrzeugen verschiedener Art beleben das Stadtbild; eine ungewöhnliche Unruhe verbreiten die Soldaten, lebhafter Verkehr auf der Hauptstraße und viel Lärm bei Tag und Nacht macht die Menschen unruhig und raubt ihnen den Schlaf, da oft und überraschend mit Einquartierung zu rechnen ist; die Stadt ist nun zur Etappe geworden und die Kampfhandlungen rücken immer näher.

 

Nun bietet sich ein neues Elendsbild dar. Gruppen und Einzelpersonen, darunter viele Ausländer beiderlei Geschlechts, ziehen durch die Stadt. Sie machen einen verwahrlosten, heruntergekommenen Eindruck; haben keine Lebensmittelkarten und ziehen bettelnd von Haus zu Haus. Man findet sie irgendwo auf der Straße, wo sie an offenen Feuern abkochen und in Scheunen oder auch Wäldern nächtigen. Ihr armseliges Gepäck führen sie auf kleinen Handwagen mit. Nun herrscht auf den Landstraßen große Unsicherheit. Es ist nicht ratsam, sich allein weit weg von bewohnten Plätzen zu entfernen, da Diebstähle und Überfälle an der Tagesordnung sind.

 

Am 14. April war eine Verwaltungsabteilung der „Wehrmacht“ nur für ein paar Stunden hier. Sie kamen aus Erfurt. Ihr Ziel war Grafenwöhr. Dort wurden sie durch Bombenangriffe vertrieben, und so zogen sie nach Nürnberg. Es hatte den Anschein, als ob schon eine straffe, einheitliche Führung fehlte. Jeder Verband tat, auf sich gestellt, was er im Augenblick für richtig fand.

 

Die Kriegsereignisse entwickelten sich nun in atemberaubender Schnelligkeit.

Die Amerikaner, die noch kurz vorher im nördlichen und westlichen Bayern waren, stießen, nach der Meldung vom 15. April, bereits nach Bayreuth, Kemnath und Grafenwöhr vor. Ihre vorprellenden Panzerspitzen haben angeblich bereits Weiden erreicht, da ihnen keinerlei Widerstand geboten wird. Aus der Gegend von Weiden ist auch tatsächlich Kanonenfeuer deutlich hörbar. Die wenigen deutschen Truppeneinheiten, schon stark dezimiert, rücken ab oder machen sich marschbereit. In der Bevölkerung ist begreifliche Erregung, aber keine Angstpsychose bemerkbar. Mit dem raschen Vordringen amerikanischer Panzer ist zu rechnen. Pegnitz, südlich von Bayreuth, westlich von Weiden, soll noch nicht genommen sein. Ein deutscher Kampfverband soll den Vorstoß auf Weiden abgefangen haben.

 

Am 16. April ist ein Munitionszug in Weiden, auf dem Gleis Richtung Bayreuth, in der Nähe der Seltmannfabrik beschossen worden. Er gerät in Brand; es gab starke Verluste an Menschenleben, etwa 50 Personen tot oder verletzt, großen Materialmangel und Häuserschaden.

 

Am 17. April, vormittags, wird auf dem hiesigen Bahnhof ein Zug von Fliegern beschossen. Die Maschine ist zerstört. Personen sind nicht zu Schaden gekommen. Die Fliegertätigkeit nimmt, da die Front immer näher rückt, von Tag zu Tag zu. Eine Beerdigungsfeierlichkeit auf dem Friedhof in Waidhaus wurde durch Bordwaffenbeschuß gestört, ohne daß jedoch Verluste entstanden.

Im NSV-Heim[7] zu Waidhaus wurde heftige Klage wegen mangelhafter Verpflegung der Flüchtlinge geführt. Lebensmittel sind dort knapp geworden, da keine Zufuhr von auswärts mehr zu erwarten ist. Der Bürgermeister verspricht zu tun, was in seinen Kräften steht. Es spitzt sich alles auf das Ende des Krieges zu.

Das Konzentrationslager Flossenbürg wird von der SS verlassen. Was aus den Insassen geworden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Erst später kommen die furchtbaren Bluttaten der SS ans Tageslicht.

Eine HJ-Abteilung [8] aus Mainfranken, etwa 60 Jungen in Begleitung von BDM [9], durchzog die Stadt - in regellosen Haufen. Nach kurzer Rast zogen sie weiter. Sie hinterließen bei allen, die diese Jugend sahen - darunter noch richtige Kinder - den denkbar schlechtesten Eindruck. Viele von den Jungen trugen Gewehre und markierten den Werwolf.

 

In der Porzellanfabrik Seltmann, Vohenstrauß, befand sich ein großes Marinelager mit vielen Vorräten, darunter Eßwaren, Konserven, Bekleidungsstücke, Decken, Zeltbahnen usw. Wer es öffnete, ist unbekannt geblieben! Jedenfalls war der Ansturm auf dieses Lager sehr groß. Die Hereinstürmenden nahmen, was ihnen in die Hände fiel und plünderten es richtig aus. Nun schaltete sich die Polizei ein und verlangte von denen, die Lagersachen gestohlen hatten, diese in einer befristeten Zeit zurück. Die Sachen wurden den Geschäftsleuten überwiesen, die sie dann an die Bevölkerung gegen Bezahlung abgeben konnten. Die gesunkene Moral sollte so wieder gehoben werden.

 

Todesmärsche durch Vohenstrauß [11]

 

Der 18. April sah einen Durchzug von männlichen Insassen eines unbekannten KZ-Lagers unter starker Bewachung von Soldaten. Die Rufe „Hunger“ und „Brot“ waren aus den Reihen der Unglücklichen vernehmbar. Doch niemand traute sich, helfend einzugreifen, aus Furcht vor Strafe und Vergeltung. Viele sind wohl auf diesem Leidenswege an Entkräftung zu Grunde gegangen und am Wegrande oder in den Wäldern verscharrt worden? Wer weiß wo? Tagsüber fährt nun nur noch ein Zug von Weiden bis Lohma hin und zurück.

Die Post hat ihren Betrieb so gut wie eingestellt. Briefe gehen nicht ab und kommen nicht an. Auch Geldüberweisungen werden nicht mehr angenommen. Wir gehen langsam dem Ende entgegen.

 

Am 19. April vernimmt man von Westen her starkes Artilleriefeuer. Wo gekämpft wird, ist nicht festzustellen. Von durchziehenden Soldaten werden Fahrräder beschlagnahmt, zu eigenem Gebrauch, mit Anwendung eines gelinden Druckes. Der Zugverkehr ist jetzt ganz eingestellt. Die Front ist nun nahe! Goebbels läßt am 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, im Rundfunk noch einmal seine Stimme durch den Äther schallen mit dem Aufruf, „auszuhalten bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone.“ Siegen oder untergehen ist seiner Weisheit letzter Schluß. Diese Rede findet aber bei den Menschen der Gegenwart kein Echo mehr. Sie wirkt eher entmutigend als beruhigend. Hitlers Geburtstag, sonst der Tag lärmender Feiern, wird vergessen. Er und sein Geburtstag gingen im Strudel aufregender Ereignisse unter, beide verloren für immer an Bedeutung.

Panzerspitzen werden in Richtung Vohenstrauß gemeldet. Sonst blieb der Tag verhältnismäßig ruhig. Bomberverbände greifen Weiden bei Tage an. Es werden Brände beobachtet. Die Beunruhigung der Bevölkerung und das verwunderte Fragen nach unserer Luftwaffe (ironisch) wächst von Stunde zu Stunde. Man befürchtet jetzt auch für Vohenstrauß Feindbeschuß. An den Ausgängen der Stadt werden Panzersperren angelegt, und zwar:

1.  Wernberger Straße (beim Garten von Winkler),

2.  Waidhauser Straße (Apotheke Bamler-Garten),

3.  Bahnhofstraße (Ledermühle).

Wegen des starken Verkehrs sind sie noch offen.

 

Die Nacht vom 20. zum 21. April ist außerordentlich unruhig. Auf der Hauptstraße ist starker Verkehr. Fahrzeuge aller Art, Soldaten, Zivilisten auf Rädern und zu Fuß ziehen durch die Stadt, nach Eslarn oder nach Waidhaus. Danach tritt etwas Ruhe ein, nur noch Einzelgänger und Versprengte sind zu beobachten. Ob Weiden schon besetzt ist, kann nicht festgestellt werden. Die Verbindung dahin fehlt. Wohl aber sind Kanonendonner und Granatfeuer vernehmbar. Man scheint sich doch noch auf Abwehr und Verteidigung dort einzurichten; zudem sollen in Altenstadt Flakgeschütze in Stellung gebracht worden sein.

Im Walde und an den Rändern der Straße Vohenstrauß - Burgtreswitz liegen eine Anzahl Toter aus den Gefangenenzügen der KZ-s. Gegen Abend hat man sie aber in den Wäldern eingegraben. Wollte man ihre Spuren verwischen, oder durchzog die Peiniger doch noch ein Anflug von Barmherzigkeit?

 

Der 22. April ist ein Sonntag. Wie immer riefen auch an diesem ersten Tag einer neuanbrechenden Woche die Glocken beider Kirchen die Gläubigen zum Gebet, und zur Andacht. In Predigt, Messe und Choralgesang vernahm man Geschützdonner. Weiden wird von Norden, Osten und Westen angegriffen. Volltreffer erhalten: das Warenhaus Witt, das RAW [12], die Sedanstraße und der Bahnhof samt seiner Umgebung. Überall flammen Brände auf. Nun folgt ein kurzer, aber heftiger Kampf. Schon um 11 Uhr wurde das Feuer von deutscher Seite eingestellt. Die Stadt Weiden kapitulierte und zeigte weiße Fahnen. Die Amerikaner nahmen von der Stadt Besitz. Der Weg nach Vohenstrauß war nun frei. Die Befürchtung, daß auch unsere Stadt beschossen werden würde, beunruhigte die Gemüter sehr. SS-Offiziere sollen sich dahin geäußert haben: „Warum soll Vohenstrauß verschont bleiben, nachdem so viele andere Orte vernichtet worden sind?“ Die Aussicht, das Schicksal „so vieler anderer Orte“ evtl. teilen zu müssen, hing nach diesem „menschenfreundlichen“ Ausspruch von nun an als bange Frage über den Menschen unserer Stadt.

 

Amerikanische Truppen vor den Toren der Stadt

 

Kein Wunder, daß nach dem Ausspruch der SS nun die verschiedensten Gerüchte über die Annäherung der amerikanischen Truppen durch die Stadt liefen. In solchen Situationen hat die Fantasie stets freien Lauf. Erhöht wird die Unsicherheit noch dadurch, daß man ab und an Geschützdonner vernimmt, daß motorisierte Kolonnen durch die Stadt rasen und immerwährendes Kommen und Gehen straßauf, straßab zu beobachten ist. Bekannt geworden ist, daß Altenstadt geräumt werden soll.

Die Nacht vom 22. zum 23. April (Sonntag zu Montag) verlief ruhig, ohne Beschuß, ohne Fliegertätigkeit. In den Morgenstunden des Montag rückt der Arbeitsdienst ab - ganz junge Burschen. Später aber wurden sie wieder aufgefangen, mit Panzerfäusten versehen und zum Einsatz bereit gestellt. Jedoch - es sollte zu keinem Kampf mehr kommen, denn noch schneller entwickelten sich alle weiteren Ereignisse, kampflos, dem Ende entgegen.

 

Waldthurn, Roggenstein, Leuchtenberg sind in amerikanischer Hand. In Vohenstrauß schlägt es vom Turm 11 bedächtige Glockenschläge - es ist 11 Uhr vormittags. Noch gehen die Menschen ruhig ihrer Beschäftigung nach - Vohenstrauß wird wohl vom Feuer umgangen. Die Uhrzeiger rücken weiter, es wird ¾ auf 2 Uhr nachmittags, da - heftiger Beschuß der Stadt durch Artillerie. Dann setzt das Feuer ebenso schnell wieder aus. In der näheren Umgebung der Stadtausgänge werden Brände beobachtet. Ein Tiefflieger kreist über der Stadt. Man hört das Knattern seines Maschinengewehrs. Dann blieb es ruhig.

Inzwischen hatte man an den Ausgängen der Stadt die Panzersperren geschlossen. Da ereignete sich, daß beherzte hiesige Frauen sich daran machten, die Panzersperren an der Ledermühle zu durchsägen und die Stämme in den Bach zu werfen. Dies wurde General Schulz gemeldet. Er eilte herbei, drohte mit Erschießen und erreichte tatsächlich, daß man der Gewalt wich, nicht ohne, daß ihm von den Frauen zugerufen wurde: „Wir lassen unsere Heimatstadt nicht zerstören!“ Von nun an wurde ein Arbeitsdienstmann mit Gewehr als Posten an die Sperre kommandiert, um sie vor weiteren Beschädigungen zu beschützen.

 

Und noch etwas geschah, was dem Chronisten erwähnenswert erscheint. Das große Materiallager in Grafenreuth wurde geöffnet und von der Zivilbevölkerung restlos geplündert. Das war dem Lagerverwalter der Stadt Vohenstrauß, Joh. Zielbauer und seinem Stellvertreter Andreas Richthammer ein Wink des Himmels. Um zu verhüten, was in Grafenreuth unter den Augen der Amerikaner geschah, ließen sie in Vohenstrauß die Müller in und um die Stadt auffordern, "die bedeutenden Vorräte an Getreide, die im Lagerhaus eingelagert waren, ab(zu)holen (gegen Quittung) und bei sich aufzuheben". Die Vorräte konnten so besser vor Diebstahl in dieser unruhigen Stadt geschützt werden, und bei etwaiger Beschießung der Stadt waren sie vor Vernichtung durch Feuer relativ eher zu bewahren. Diese Tat gereichte Stadt und Einwohnern zum Segen, und deshalb sei sie hier lobend erwähnt. Denn nach dem Einmarsch der Amerikaner wurden diese Vorräte nach und nach bei den einzelnen Mühlen wieder abgeholt. Dadurch kam die Stadt in die glückliche Lage, einmal sich selbst mit den nötigsten Nahrungsmitteln, dem Brotgetreide, zu versorgen - sie war ja von der Außenwelt, da der Bahnverkehr ruhte, vollkommen abgeschnitten - und zum anderen konnte sie später, als der Strom der Flüchtlinge einsetzte, diese auch mit Brot versorgen. Wie manche Not konnte da durch die kluge, aufmerkende und vorsorgliche Art und rechtzeitige Tat dieser Männer gelindert werden!

 

Artilleriebeschuß als Vergeltung[13]

 

Betrachten wir die Ereignisse des Tages weiter. Nach den letzten Nachrichten schien das ganze Kreisgebiet Vohenstrauß eingekesselt zu werden. Nur der Weg nach Osten - Richtung Waidhaus - ist noch frei. Altenstadt liegt bereits unter Beschuß. Brände werden schon beobachtet. Und nun, am Montag, dem 23. April, gegen ½ 10 Uhr abends erfährt Vohenstrauß einen starken Feuerüberfall. Amerikanische Artillerie beschießt planmäßig die Stadt mit Phosphorgranaten. Es dauert etwa eine ¼ Stunde und der Schaden ist erheblich! Die Bewohner flüchten in die Keller. Einen Volltreffer erhielt das Haus Prager Gasse 179, bewohnt von Joseph Leopold. Das Haus wird unbewohnbar. Das Haus des ehemaligen Bürgermeisters Ries, am Marktplatz Nr.101, wurde ebenfalls schwer getroffen. Bald nach dem Feuerüberfall brach, hervorgerufen durch den Einschlag einer Brandgranate, im 1. Stock des Hauses Pfarrgasse Nr. 68, Inhaber Metzgermeister Krapfenbauer, Feuer aus. Die Bewohner hatten Zuflucht in den Kellern der Nachbarschaft gefunden. Es war niemand im Hause Nr. 68 und so wurde der Brand erst spät entdeckt. Trotz einsetzender Brandbekämpfung durch die freiwillige Feuerwehr brannte der ganze 1. Stock aus. Zum Glück bei allem Unglück trat regnerische Witterung ein, es war naß und kalt und auch nicht windig, und Vohenstrauß blieb von einer Wiederholung seiner früheren großen Brände unseligen Angedenkens verschont.

Weitere Granateinschläge und Splitterschäden sind noch an weiteren Häusern zu verzeichnen und werden noch manche Zeit von jener Schreckensnacht zeugen, die die Menschen in den Kellern auch nicht so schnell aus ihrem Gedächtnis verlieren werden.

 

Todesopfer waren auch gefordert worden, gottlob aber nur wenige.

Frau Margarete Schönberger, geb.Mayer, die Ehefrau des Korbmachers J. Schönberger, wohnhaft im Hinterhaus der Gastwirtschaft „Schwan“ (Marktplatz Nr. 72) wurde durch Granatsplitter verletzt. Die Granate traf die Rückwand des Rathauses, krepierte dort und schleuderte die Splitter durch die Fenster in die Wohnung des Schönberger. Ein Splitter riß der Frau die drei Mittelfinger der linken Hand ab. Die Verletzte konnte sich mit ihrem Manne ins hiesige Krankenhaus begeben und wurde von Herrn Dr. Bamler dort verbunden. Sie ist nach 5 Wochen an Blutvergiftung hier gestorben. Ihre 4 Kinder wie auch ihr Mann, der neben ihr saß, sind mit dem Schrecken davongekommen. Die Frau war 43 Jahre alt. Sie hat ihre Ruhestätte auf dem hiesigen Friedhof gefunden.

Ferner wurde die unverehelichte Anna Ebnet von hier, die bei ihrem Schwager, dem Eisenbahner Joh. Hoch in der Liedlpaint Nr. 301 wohnhaft war, durch den Luftdruck einer neben ihr einschlagenden Granate getötet. Sie ist, trotz Warnung ihres Schwagers, auf die Straße (vor der Hölzl-Fabrik) gegangen. Dort ereilte sie der Tod. Äußere Verletzungen waren an ihr nicht festzustellen. Herr Landwirt J. Wurdack (Lange Gasse 194), der die Verletzte fand, brachte sie nach der Beschießung in sein Haus. Er konnte nur den Tod feststellen.

Als am Montag, dem 23.4.1945 gegen ½ 10 Uhr abends, ganz unvermutet die Beschießung der Stadt begann, eilte alles in die Keller. Das elektrische Licht versagte und es war stockfinster. Frau Maria Sellschopp, Mutter von Frau Major Baierlein, wohnte mit ihrer Tochter im Gasthaus zum „Schwarzen Raben“ (Janner), Marktplatz Nr.169. Sie verfehlte beim Hinabsteigen in den Keller die Stufen, stürzte hinunter und zog sich einen Schädelbruch zu. Sie ist an den Folgen dieses Sturzes bald gestorben und auch auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt worden.

 

Am Montag, dem 23.4.1945, war diesiges Wetter, das nach dem Abend zu in einen leichten Sprühregen überging. Allmählich senkte sich die Nacht über das stille Städtchen. Der plötzlich einsetzende Feuerüberfall um ½ 10 Uhr abends hat die Bewohner aus ihrem Schlaf geschreckt und sie in die schützenden Keller flüchten lassen. Dort harrten sie voller Angst der Dinge, die da kommen sollten. Die meisten von ihnen sind diese Nacht wohl nicht aus den Kleidern gekommen.

Herr Kunstmaler Steininger, wie auch Herr Pfarrer Hopf und andere schnell herbeigeeilte Personen, beteiligten sich bei der Bergung von Sachen aus dem brennenden Hause des Metzgermeisters Krapfenbauer und bei der Brandbekämpfung des Hauses Pfarrgasse Nr. 41, bewohnt von Familie Brusch und Steininger. In das Haus war eine Phosphorgranate eingeschlagen. Sie konnte aber durch rechtzeitiges Eingreifen bald gelöscht werden, ohne daß sie größeres Unheil anrichtete. Es war für viele eine Nacht voller Schrecken. man wußte ja nicht, wann ein neuer Feuerüberfall zu erwarten war. Die Beschießung hat etwa eine ¼ Stunde gedauert, dann schwieg das Feuer. Es war die Vergeltung für einen am Montag gegen ½ 5 Uhr nachmittags bei der Seltmann-Fabrik erschossenen amerikanischen Feldwebel.

 

Was war geschehen?

 

Ein amerikanischer Panzerspähwagen kam am Montag Nachmittag ½ 5 Uhr von Altenstadt und fuhr auf der Straße nach Vohenstrauß. Am Wäldchen der Seltmann-Fabrik hielt er. Ihm entstieg ein amerikanischer Feldwebel, um sich zu orientieren. Dieser wurde von einem Arbeitsdienstmann, der sich dort versteckt hielt, durch Kopfschuß getötet. Das geschah am Montag, dem 23. April 1945, nachmittags gegen ½ 5 Uhr. Man ließ amerikanischerseits den Mann, der bald tot war, auf der Straße liegen, drehte ab und fuhr in schnellstem Tempo nach Waldau zurück, wo die amerikanische Batterie auf dem Rehbühl stand.

Ganz in der Nähe des Tatortes steht das Gasthaus des Herrn Metzgermeisters H. Söllner. Herr Söllner hat, nachdem der Schuß gefallen war, sein Haus verlassen und nach der Ursache geforscht. Da kam ihm schon der junge Arbeitsdienstmann entgegen. Zur Rede gestellt, gab dieser zu, auf Befehl seines Vorgesetzten so gehandelt zu haben. Als ihm Herr Söllner Vorhaltungen wegen der nun einsetzenden Vergeltungsmaßnahmen machte, meinte der junge Mann ganz gleichgültig, er hätte nur seine Pflicht erfüllt. Der Bursche begab sich darauf wieder auf seinen Posten an der Straße. Inzwischen hatte die Tochter des Herrn Söllner zu einem Fenster nach der Straßenseite eine weiße Fahne herausgesteckt. Auf dieses Fenster gab der Arbeitsdienstmann nun zwei Schüsse ab. Herr Söllner zog die Fahne wieder ein. Als er sich aber nach dem Schützen umsah, war und blieb dieser verschwunden.

Bereits um 5 Uhr nachmittags setzte die Vergeltung ein, und Altenstadt mußte den ersten Feuerüberfall, der sehr viel Schaden anrichtete, über sich ergehen lassen.

Bei diesem Feuer ist Herr K. Dobmeier gefallen (geb.21.8.1900 - gef. 23.4.1945, beigesetzt auf dem Friedhof in Altenstadt).

Am späten Abend und in der Nacht sind amerikanische Stoßtrupps wieder bis zur Seltmann-Fabrik vorgedrungen. Wie Herr Söllner berichtet, drangen drei amerikanische Soldaten nachts gegen ½ 12 Uhr in sein Haus, mit vorgehaltenen Gewehren, ein. Herr Söllner stellte sich ihnen entgegen. Ein deutsch sprechender Amerikaner schrie ihn an:

„Ist aus dem Haus geschossen worden?“ (Nein).

„Ist das Haus besetzt?“ (Nein)

„Sind Waffen in dem Haus?“ (Nein)

„Wo sind die anderen Leute?“ (Keller)

„Wie alt bist du?“ (68 Jahre)

Dann durchsuchten sie das ganze Haus und Herr Söllner zeigte den Soldaten noch das Fenster, in das geschossen worden war. Etwas ruhiger geworden verlangten sie nun ein Bettlaken, um ihren toten Kameraden darin einzuhüllen. Dann verließen sie das Haus, ihren Kameraden ließen sie auf der Straße liegen.

 

In Altenstadt hielten sich am Montag, dem 23. April, noch einige SS-Leute auf. Sie verschwanden aber, als gegen 4 Uhr nachmittags amerikanische Panzer, von Waldau kommend, Altenstadt besetzten. Das Dorf zeigte weiße Fahnen. Gegen ½ 5 Uhr wurde beim Panzervorstoß auf Vohenstrauß, in der Nähe der Seltmann-Fabrik, der schon oben erwähnte amerikanische Feldwebel erschossen. Darauf erhielt das Dorf, als der Panzerspähwagen nach Waldau zur Batterie zurückkehrte, starkes Feuer. Das war bereits der Anfang der Vergeltung. Die Bewohner flüchteten in die Keller. Bei diesem Beschuß fand der auch schon oben erwähnte Karl Dobmeier als einziger den Tod. Er hatte mit seiner Familie und anderen Leuten in einem nahe an seinem Hause gelegenen Wiesenkeller Schutz gesucht. Splitter einer in der Nähe einschlagenden Granate töteten ihn. Es war gegen 5 Uhr nachmittags.

Jetzt rückten die SS-Mannschaften, die sich versteckt gehalten hatten, wieder ins Dorf und zwangen die Bewohner, die weißen Fahnen wieder einzuziehen. Montag Nacht haben die SS-Leute endlich das Dorf verlassen. Sie verschwanden in den nahen Wäldern. Das Dorf aber atmete befreit auf.

In dieser Nacht drangen Schleichpatroullien der Amerikaner wieder in das Dorf ein. Sie sind von dem Bauerngutsbesitzer und früheren Bürgermeister, Herrn Sebastian Kick, von einem Kellerfenster aus beobachtet worden. Drei amerikanische Soldaten sind auch bis an das Gasthaus des Metzgermeisters H.Söllner, nachts gegen ½ 12 Uhr, vorgedrungen. Ihr toter Kamerad lag noch in Bettlaken gehüllt, da.

 

Für die militärische Lage und Haltung der Stadt Vohenstrauß war der damalige Kommandant, General Schulz, der sich im Rathaus aufhielt und dort wohnte, verantwortlich; für die Sicherheit und das Wohl und Wehe der Bürger aber der stellvertretende Bürgermeister der Stadt: Herr Albert Sommer.

 

Mutige Frauen und Männer

 

Herr A. Sommer begab sich in der Nacht gegen 1 Uhr in das Rathaus zum Herrn General. Er bat ihn, die Stadt zu schonen und kampflos zu übergeben. Schulz aber gab ausweichende Antworten und berief sich auf seinen Befehl, die Stadt als Stützpunkt zu halten und zu verteidigen. Da ihm aber nur wenige Soldaten zur Verfügung standen, hätte er die Nutzlosigkeit eines Kampfes wohl einsehen müssen. Auch drangen einige beherzte Frauen bis zum General vor und baten ihn, doch abzuziehen, um Vohenstrauß vor der Beschießung zu retten. Er ließ sich zuerst nicht sprechen, dann erschien er zwar, aber ihre Mission verlief erfolglos. Schließlich versuchte Herr Steininger gegen nachts ½ 3 Uhr den General zu sprechen. Es gelang ihm auch. Nachdem der Adjutant sich von einer höheren Stelle telefonische Anweisung geholt hatte, konnte der General dem Herrn Steininger mitteilen, er würde noch heute die Stadt verlassen. So geschah es dann auch. Die Gefahr der Verteidigung von Vohenstrauß und eine nochmalige Beschießung war abgewendet worden. Gegen 3 Uhr nachts bereits verließ der General, nachdem der Rest der Truppen abgerückt war, mit seinem Stabe die Stadt.

Zwischendurch erschien ein Unteroffizier mit 20 Mann und verlangte vom Bürgermeister Unterkunft und Verpflegung. Herr Sommer verschaffte ihnen Verpflegung und veranlaßte sie, bald nach Osten zu marschieren, da in dieser Richtung der Weg frei sei. Nun hieß es, die Amerikaner zu verständigen, daß die Stadt kapitulieren und sich kampflos übergeben wolle.

 

Die Besetzung der Stadt durch amerikanische Truppen

 

Der 24. April 1945, ein Dienstag, war der Tag der Besetzung der Stadt Vohenstrauß durch die amerikanischen Truppen!

Um den Willen der Übergabe kund zu tun, müssen zunächst weiße Fahnen gezeigt werden. Herr Sommer und Herr Steininger begaben sich daher am 24.4.45 gegen 4 Uhr morgens zu den beiden Geistlichen, Herrn Pfarrer Ludwig Hopf und Herrn Stadtpfarrer Sebastian Riedl, um zu veranlassen, daß auf beiden Kirchtürmen weiße Fahnen gehißt werden. Das geschah auch bald.

Nach und nach zeigten sich die Bürger auf der Straße. Von Mund zu Mund wurde bekannt gemacht, daß alle Häuser weiß zu flaggen hätten. Die Panzersperren hatte man gegen Morgen auch beseitigt und der Weg in die Stadt Vohenstrauß war frei.

Herr Kunstmaler Steininger hatte es übernommen, mit den Amerikanern zu verhandeln und die Stadt im Auftrage des Bürgermeisters zu übergeben.

 

Anmerkung:      Der Bürgermeister selber hatte noch genug zu tun, um die Bewohner zu beruhigen und um Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, d.h. sich zu vergewissern, daß kein Militär mehr in der Stadt war und daß kein Einwohner auf den Gedanken käme, auf die einrükkenden Amerikaner zu schießen. In solch kritischer Zeit muß an alle Möglichkeiten gedacht werden. Ruhe und Disziplin muß gewahrt und jedes selbständige Handeln, aus Unüberlegtheit, muß vermieden werden. [14]

 

Herr Steininger begab sich nun also am Dienstag, dem 24. April 1945, gegen ½ 6 Uhr morgens auf den Weg nach Altenstadt zur Übergabe der Stadt. Auf dem Wege dorthin traf er, noch in der Stadt, Herrn August Weidner jun. (Sohn des Uhrmachermeisters Wilhelm Weidner von hier, Marktplatz 99). Als dieser erfuhr, daß Herr Steininger den Amerikanern entgegen gehen wolle, bat er, sich ihm anschließen zu dürfen. So ging man hintenherum nach der Seltmann-Fabrik, also nicht auf der Chaussee. Als sie dort niemanden sahen, gingen sie wieder zurück.

 

Zweiter Vergeltungsbeschuß mit Todesopfer

 

Nun kam ganz plötzlich und unerwartet für die Stadt, die weiße Fahnen gehißt hatte, am Dienstag gegen ½ 9 Uhr früh ein zweiter Vergeltungsbeschuß mit Artillerie und Maschinengewehrfeuer. Auch Altenstadt erlebte ihn unter großen Schäden. Er dauerte allerdings nur 5 Minuten - aber das Todesopfer war der 12 ½ jährige Knabe H. Engel aus Hamburg.

 

Anmerkung:      Bei diesem Feuerüberfall schlug eine Granate ganz in der Nähe des Hauses Nr. 333 in Vohenstrauß. Es ist ein Behelfsheim und liegt etwas außerhalb der Stadt und wird von zwei Familien bewohnt. Frau Anneliese Engel aus Hamburg wohnte hier mit ihren vier Kindern, 2 Knaben  (12 ½ und 10 Jahre) und zwei Mädchen (8 und 6 Jahre). (Sie war) in der Nacht von Montag zu Dienstag in den Keller des Hauses 332, bewohnt von der Familie Messer, zur Sicherheit gegangen. Da der Dienstag Morgen ruhig war und man von diesem Hause aus beobachten konnte, wie Bewohner von Vohenstrauß, die sich in der Nacht in Gehöften, Mühlen oder im Walde aufgehalten hatten, wieder mit ihren kleinen Wagen zurückkehrten, nahm auch Frau Engel an, daß die Gefahr vorüber sei, zumal es nur wenige Schritte bis zu ihrer Wohnung waren.

Neben sich ihren großen Sohn und dann kamen ihre anderen 3 Kinder hinterher. Sie hatte die Tür ihres Hauses noch nicht ganz erreicht, als eine Panzergranate dicht neben ihr einschlug und krepierte. Es war gerade ½ 9 Uhr morgens. Die Granatsplitter verletzten Mutter und Sohn schwer. Dem 12jährigen wurde die rechte Hand abgerissen, der linke Oberschenkel verletzt und noch durch Bauchschuß schwer verwundet. Noch vier Stunden lebte der arme Junge, dann starb er im hiesigen Krankenhaus. Auf dem hiesigen Friedhof ist er beigesetzt worden. (Die Inschrift seines Denksteines lautet: "Hier ruht unser Liebling Hermann Engel, geb. 7.10.1932 in Hamburg - gefallen 24.4.1945. Bei der Einnahme von Vohenstrauß wurde er schwer verwundet und mußte sein junges Leben lassen")

Frau Engel erhielt einen Granatsplitter in den rechten Oberschenkel. Sie hatte noch die Geistesgegenwart, sich das Bein abzuschnüren, sonst wäre sie verblutet. Ihre Nachbarin, Frau Emma Voigt, lief in die Stadt, um Hilfe zu holen und zwar ins Rathaus. Dort traf sie Männer, die sich inzwischen bereits auf Befehl des amerikanischen Kommandanten melden mußten. Herr Dr. Schneider und Herr Dentist Jansen, beide aus Ohlau/Schlesien, brachten erste Hilfe. Man schaffte beide Verletzte nacheinander auf einer Trage ins hiesige Krankenhaus, wo ihnen weitere ärztliche Hilfe zuteil wurde. Als die Amerikaner von diesen Opfern erfuhren, brachten sie Frau Engel sofort im amerikanischen Sanitätsauto nach Weiden. Dort wurde sie bald von Herrn Dr. Stark operiert. Ihr wurde das rechte Bein über dem Knie amputiert. Im übrigen haben sich die amerikanischen Ärzte der Verwundeten sehr angenommen.

Die anderen drei Kinder blieben wunderbarerweise unverletzt und kamen mit einem gewaltigen Schrecken davon, der sie wohl durch ihr ganzes Leben begleiten wird. Der Vater der Kinder war in belgischer Gefangenschaft, er kehrte am 2. September 1945 zurück.

 

Wie geschah nun die Übergabe der Stadt?

 

Nach dem kurzen Feuerüberfall am Dienstag Morgen gingen Herr Steininger und Herr Weidner jun. den anrückenden Amerikanern nunmehr auf der Chaussee nach Altenstadt entgegen, um die Stadt endgültig zu übergeben.

Sie trafen die Panzer in der Nähe der Seltmann-Fabrik - dort wo noch der tote Amerikaner lag. Der erste Panzer hält. Der amerikanische Offizier fragte durch den Dolmetscher, ob sie die Parlamentäre wären. Nun geschahen darauf folgende Fragen:

„In welchem Auftrage kommen Sie?“ (Des Bürgermeisters)

„Ist Vohenstrauß besetzt?“ (Nein)

„Seit wann ist die Stadt frei?“ (3 Uhr nachts)

„Sind noch bewaffnete Reste von Truppen im Ort?“ (Das glaube ich nicht)

„Wer war der deutsche General oder Kommandant?“ (Weiß ich nicht!)

„Wieviel Truppen lagen hier?“ (Ist mir nicht bekannt)

„Wohin geschah der Abzug?“ (mit der Hand in die Gegend weisend: dorthin).

Beide Männer mußten sich jetzt auf den ersten Panzer setzen. Ihnen wurde vom mitfahrenden Dolmetscher eröffnet, daß ihr letztes Stündlein geschlagen hätte, falls aus einem Hause geschossen würde. Der Gedanke an die Möglichkeit etwaigen Widerstandes durch sogen. Werwolf-Anhänger hatte wahrhaftig wenig Bestechendes an sich - Gott sei Dank, es geschah nichts. Die Panzer rollten nun in die Stadt. Den Bewohnern war vorher verkündigt worden, in die Keller zu gehen und sich dort aufzuhalten, bis die Übergabe erfolgt sei. Nun gaben die einfahrenden Panzer Streufeuer auf die Häuser, dessen Spuren noch manche Zeit bleiben. Hinterher kamen Spähtrupps.

So nahmen die Amerikaner Besitz von der Stadt. Alles weitere entwickelte sich nun sehr rasch. Auf der Straße gegenüber dem Kriegerdenkmal fand zwischen dem amerikanischen Offizier und Bürgermeister Sommer unter Assistenz des Dolmetschers eine kurze Unterhaltung statt.

Darauf erfolgte die offizielle Übergabe der Stadt Vohenstrauß an die amerikanische Militärregierung (Mil.Governm.). Die Herren Offiziere begaben sich ins Rathaus und nahmen davon, als der nunmehrigen Behörde, Besitz. Bald weht aus dem Fenster des Rathauses der Stadt die amerikanische Flagge.

Panzer hielten auf dem Marktplatz. Es wird nun mündlich bekannt gegeben, daß sich alle männlichen Personen von 15 - 50 Jahren (militärpflichtig) sofort im Rathaus zu melden hätten, um sich registrieren zu lassen. Waffen sind mitzubringen. Hier ist eine scharfe Kontrolle aller Militärpflichtigen. Ein Teil wird (noch am gleichen Tage durch) als Gefangene dabehalten. Ihr Abtransport geschah noch am gleichen Tage durch Lkws.

Allmählich wird es in der Stadt wieder lebendig. Die meisten Bürger aber hielten sich, mehr denn je, in den Häusern auf. Es wird weiter bekanntgegeben, daß die Ausgehzeit bis auf weiteres eingeschränkt sei: Vorm. 3 - 10 Uhr, nachm. 4 - 6 Uhr.

Übertretungen ziehen Gefängnisstrafen nach sich. Patrouillen, mit Gewehr und Stahlhelm, durchstreifen die Stadt.

 

Anmerkung: Vohenstrauß und Altenstadt sind vor völliger Vernichtung dadurch bewahrt worden, daß die Übergabe beider Orte rechtzeitig erfolgte und daß die Frauen von Waldau den leitenden amerikanischen 1.Offizier der Batterie baten, mit dem Feuerbefehl zu warten. Hier, in Waldau, standen auf dem Rehbühl 9 Langrohrgeschütze. Sie hätten in ganz kurzer Zeit beide Orte, Vohenstrauß und Altenstadt, in einen Trümmerhaufen verwandelt und unsagbares Leid über beide Gemeinden bringen können. [...]

 

Marktplatz mit Friedrichstraße, nach Süden, hier wurde die Stadt durch den amtierenden Bürgermeister Albert Sommer übergeben (Privatarchiv Hans Frischholz)

 

Am Dienstag, dem 24. April 1945, durchlief die Stadt Vohenstrauß das Gerücht, daß in der kommenden Nacht, von Dienstag zu Mittwoch, von deutscher Seite ein Großangriff durch Artillerie geplant sei. Man kann sich vorstellen, welche Gefühle und Empfindungen das bei den Bewohnern auslöste. Sollte man noch mehr erleben müssen? Man war auf eine unruhige Nacht gefaßt. Viele verbrachten sie im Keller oder wenigsten, in Kleidern, wachend in ihren Wohnungen, um für Unvorhergesehenes gerüstet zu sein. Aber die Nacht blieb ruhig und es erwies sich alles nur als Gerücht. In dieser aufgeregten Zeit hat oft die Phantasie die ärgsten Blüten getrieben!

 

Die amerikanische Besatzungsmacht

 

Am 25. April machten die neuen Herrn zum erstenmal Gebrauch von ihrer Macht.

Auf ihren Befehl mußten in kürzester Zeit ganze Häuserreihen für die Besatzungsmacht frei gemacht werden. So die Seite vom Rathaus bis zum Bahnhof. Alles mußte stehen und liegen gelassen werden, und nur das Notwendigste durfte mitgenommen werden.

Die Liedlpaint (Flurname eines Teiles der Stadt, östlich, außerhalb des Stadtinnern) mußte völlig geräumt werden zur Aufnahme russischer Kriegsgefangener. Sie mußten von der Stadt verpflegt werden.

 

Es erfolgte nun ein ununterbrochener Durchzug von amerikanischen Panzern und motorisierten Einheiten durch die Stadt.

Ihr Verhalten zur Bevölkerung gab zu wenig Klagen Anlaß. Besonders herzlich gestaltete sich das Verhalten der amerikanischen Soldaten zu den deutschen Kindern. Sie waren richtige Kinderfreunde. Bald hatten es die Kinder heraus, was auf englisch heißt: „Bitte gib mir ein Stückchen Schokolade!“ Gutmütig erfüllten sie die Bitte der Kinder.

Der Kommandant machte bekannt, daß Plünderungen durch umherstreifende ehemalige russische Kriegsgefangene, die vorgekommen waren, nicht geduldet, sondern streng bestraft würden. Viele Fälle wurden so geahndet und wirkten abschreckend.

Der Bevölkerung ist dadurch eine große Sorge vom Herzen genommen worden und diese Anordnung wurde von ihr herzlich und dankbar begrüßt.

Durch Anschlag wurde zur Waffenabgabe (auch alle unbrauchbare Gewehre und Luftgewehre fielen darunter) aufgefordert und im Weigerungsfalle mit Strafen gedroht. Es wird auch noch einmal an das Verbot, andere Ortschaften aufzusuchen, erinnert.

 

Nun wurde unter Vorsitz des Kommandanten eine neue Stadtbehörde eingesetzt.

Zum 1. Bürgermeister wurde Baumeister Franz Xaver Wittmann, zum 2.Bürgermeister Forstmeister Ferdinand Wolf, von hier bestellt.

Der katholische Kooperator Andreas Wendl, wird als örtlicher Dolmetscher eingesetzt.

 

Am Abend des 25. April überflog ein deutscher Flieger die Stadt. Er warf eine Bombe, die aber wenigen Schaden anrichtete - und verschwand.

Die Beschießung der Stadt hatte doch sehr erheblichen Schaden an den Gebäuden angerichtet. Besonders waren viele Fenster zertrümmert worden. Die Kälte in den Nächten machte sich noch recht unangenehm bemerkbar. Überall wurde, so gut es ging, ausgebessert und, sofern Glas vorhanden, die Fenster wieder verglast. Es gab kein elektrisches Licht, man half sich mit Kerzen und Petroleum. Glücklicherweise war die Wasserleitung unversehrt geblieben, ein großer Segen für die Stadt.

Die Post, die einen Volltreffer erhalten hatte, war geschlossen. Alle Geschäfte und Besorgungen müssen in den vorgeschriebenen Ausgehzeiten erledigt werden. Die Stadt ist von der Außenwelt fast vollkommen abgeschnitten. Es gibt keine Postsachen, kein Radio, keine Fernsprechmöglichkeit. Überall sind amerikanische Drahtleitungen durch die Stadt, nach der Front, gelegt.

 

Der 29. April war ein Sonntag. Die Gläubigen beider Kirchen vereinigten sich im Gebet zu Gott, dankbar für gnädige Behütung und Bewahrung in großer Not. Gegen Ende des Gottesdienstes betrat ein amerikanischer Soldat die evangelische Kirche. Er verweilte hier in stiller Andacht. Danach machte er Aufnahmen vom Innern des Gotteshauses und von der anwesenden Gemeinde.

 

Große Anschläge an den öffentlichen Tafeln geben Auskunft über das Verhalten der Bevölkerung, auch zur amerikanischen Truppe.

Gegenüber der Seltmann-Fabrik wird durch Zivilarbeiter und Gefangene eine Wiese zum provisorischen Flugplatz hergerichtet. Das Betreten desselben war verboten. Dort standen 4 Aufklärer.

 

Ab Montag, dem 30. April, wird die Ausgehzeit auf 7 - 19 Uhr verlängert. Die Landwirte begrüßten dies besonders. Die zurückgebliebene Frühjahrsarbeit konnte beginnen.

Die Dörfer Böhmischbruck, Waldau, Oberlind und Braunetsrieth hatten keine Ausgehbeschränkung. Dort waren keine Panzersperren errichtet worden und auf das amerikanische Militär ist dort auch nicht geschossen worden.

 

Der 1. Mai, früher „Nationalfeiertag“, wird nicht mehr beachtet und geht sang- und klanglos vorüber. Langsam setzt das Geschäftsleben wieder ein, Beamte und Angestellte kehren in ihre Ämter zurück, Arbeiter suchen wieder ihre Arbeitsstätte auf. Vohenstrauß ist zur Etappe geworden. In dem Raume Eger-Tachau-Pilsen-Regensburg wird noch gekämpft.

Auf den Anschlagtafeln in Vohenstrauß vor dem Rathaus werden Anordnungen über Anmeldung von Radioapparaten und Fernsprechern, sowie Postbestimmungen angeheftet. Alle Sendungen sind unter Zensur. Vermögen und Geldbeträge der Partei und ihrer Gliederungen werden beschlagnahmt.

 

In Vohenstrauß sind Anfang Mai nur noch wenige amerikanische Soldaten, und die beschlagnahmten Häuser können wieder bezogen werden.

 

Umherziehende Russen werden zur Landplage und auf den Straßen herrscht noch immer große Unsicherheit. Oft werden die Bürger noch durch Truppentransporte, die ihren Weg durch die Stadt nehmen, aus ihrer neu gewonnenen Ruhe aufgeschreckt; zumal es dabei auch vorkommt, daß plötzlich wieder vorübergehend einige Häuser beschlagnahmt werden.

Das Wetter in diesen Maitagen ist kühl und unfreundlich, teilweise auch regnerisch.

Die Verdunkelung wird noch streng durchgeführt, auf beleuchtete Fenster wird, auf Anordnung des Kommandanten, von Patrouillen geschossen.

 

Am 2. Mai sind die Russen in Berlin einmarschiert, die „Führer“ des Volkes, Hitler und Goebbels haben sich teils durch Erschießen, teils durch Gift, der irdischen Verantwortung entzogen. Eva Der deutsche Soldat aber ist dem Chaos allein überlassen worden. Da ordnet Generalfeldmarschall Kesselring ab 6. Mai (Sonntag) wenigstens für die ganze deutsche Westarmee Waffenruhe an.

 

In Vohenstrauß ist am Sonntag, dem 6. Mai um ½ 2 Uhr nachmittags der erste amerikanische Gottesdienst in der hiesigen evangelischen Kirche. Es nehmen etwa 80 Mann, Offiziere, Ärzte, Mannschaften - mit Gewehr und Stahlhelm - daran teil.

 

Am 7. Mai durchfahren eine größere Anzahl Lkws mit deutschen Kriegsgefangenen die Stadt.

Der Zugverkehr mit Weiden ist noch nicht wieder aufgenommen, da die Naabbrücke gesprengt ist.

 

Eine kleine Kuriosität sei am Rande vermerkt: die früher oft nachgeahmten Hitler-Schnurrbärte sollen ab sofort verschwinden!

 

Kapitulation

 

Am 8. Mai wird durch Rundfunk bekanntgegeben, daß am Tage zuvor, am 7. Mai 1945, 2 Uhr 40 Min. der Waffenstillstand zwischen den Alliierten und Deutschland in Reims unterzeichnet wurde. Deutschland hat bedingungslos kapituliert.

Der Waffenstillstand tritt in Kraft: Mittwoch, den 9. Mai, 0 Uhr 0 Min.

- Gott sei unserem deutschen Volke gnädig! -

 

Heute, am 9. Mai, herrscht bei den amerikanischen Soldaten frohe Siegesstimmung. Siegesfeiern werden veranstaltet, dazu werden Truppen aus der Umgebung in der Stadt zusammengezogen. Mit Musik geht es durch die Stadt auf ein Feld gegenüber der Seltmann-Fabrik, wo eine Parade abgehalten wird. Um ½ 11 Uhr ist für die evangelischen, um ½ 2 Uhr für die katholischen Soldaten je ein Dankgottesdienst in beiden Kirchen der Stadt angesetzt.

Das Himmelfahrtsfest mußte seit 1940 auf den nächst darauffolgenden Sonntag gefeiert werden, in diesem Jahre konnte es zum ersten Mal wieder kalendergemäß, am Donnerstag, dem 10. Mai, feierlich begangen werden.

 

Die Ausgehzeit wird wieder bis ½ 9 Uhr abends verlängert, eine vorübergehende Einschränkung war infolge Ausgehüberschreitung durch einige Einwohner strafweise bis nur ½ 8 Uhr nötig geworden. Auch russische Kriegsgefangene, die hier frei umhergingen, traf eine Ausgeh-Verkürzung. Sie hatten drei amerikanische Offiziere auf der Straße belästigt, deshalb erhielten sie zur Besorgung ihrer Mahlzeit nur eine einzige Stunde Ausgang pro Tag. Überhaupt wird gegen russische Plünderer drakonisch vorgegangen. Diese suchten für ihre Raubzüge vornehmlich einsam gelegene Gehöfte auf und schreckten vor Gewalttaten keineswegs zurück.

 

Eine Serie Gerüchte durchläuft wieder einmal die Stadt: Himmler, der frühere Reichsführer der SS, habe Befehl gegeben, zum Schluß noch alle Insassen der Konzentrationslager zu ermorden. Man habe den früheren Reichsbankpräsidenten Schacht und Pastor Niemöller in einem KZ-Lager gefunden und befreit. Der frühere Reichsmarschall Hermann Göring sei durch SS noch gefangen genommen worden. Hitler hätte ihn noch im April zum Tode verurteilt. Gerüchte, Sensationslust, Sensationsmache - aber am 11. Mai wurde endlich die Verdunkelung aufgehoben. Wie lange mag die Verdunkelung der Herzen noch bleiben?

 

Mai 1945 - Flüchtlinge, Heimatlose und Vertriebene

 

Am 12. Mai durchzieht ein endloser Zug von Flüchtlingswagen, sogenannte Trecks, die Stadt. Sie wollen heim gen Norden, um bei Hof die Grenze zu überschreiten.

Da nun das evangelische Altersheim wieder frei geworden ist, konnte der Kindergarten, mit Schwester Luise Albert als Leiterin wieder eröffnet werden. Die Leitung des Altersheimes hat Schwester Barbara Sperr.

Die Knaben aus der KLV (Kinderlandverschickung) Lager „Stadt Hamburg“, werden durch große Omnibusse aus dem Altersheim abgeholt. Zwei Professoren und ca. 10 Knaben begeben sich zu Fuß auf den langen Weg nach der Hansestadt.

 

Am 12. Mai passiert abermals ein „endloser Zug“ von Flüchtlingen aus dem Osten, die als Evakuierte von den Tschechen ausgewiesen wurden, die Stadt.

Das wenige, was man ihnen gelassen hat, tragen sie in den Händen oder führen es auf kleinen Wagen, manchmal sogar nur Handwagen mit sich. Besonders groß ist das Kinderelend.

[...] Es werden Säle frei gemacht, und auch die hiesige Turnhalle wird für Übernachtungen hergerichtet. Das „Bayerische Rote Kreuz“ unter Sanitätsrat Dr. Hofmann hat sich auch hier helfend eingeschaltet. Im Gasthaus „Wilder Mann“ und in der Turnhalle sind Küchen eingerichtet. Sie geben an die Flüchtlinge Brot und eine warme Suppe gerne gratis ab. Wie dankbar wird doch ihre Tätigkeit empfunden.

Die Privatwohnungen sind nun meistens wieder frei von Einquartierungen.

 

Am 16. Mai darf keiner ohne Erlaubnis der Kommandantur die Stadt verlassen - in Eslarn, Waidhaus und Pleystein sei Fleckentyphus ausgebrochen. Die Ausfahrt von dort ist durch amerikanische Posten gesperrt, so ist jede Verbindung nach dahin und von dort her unterbunden. Amerikanische Soldaten, die am 17. Mai aus Richtung Tschechoslowakei kommend, in der Seltmann-Fabrik einquartiert werden, müssen sich einer Fleckfieberimpfung durch ihre Ärzte unterziehen.

 

Am 18. Mai ist ein Freudentag für die Stadt: Sämtliche bisher hier kasernierten Russen, Polen und Italiener werden mit Lkw’s abtransportiert. Keiner weint ihnen eine Träne nach, noch bis zuletzt hatten sie ihre Visitenkarten durch nächtliche Unruhe, Unsichermachen der Umgebung und Einbrüche, z.B. bei Kaufmann Brusch, abgegeben. Das hat nun ein Ende!

 

Etwa 150 gefangene deutsche Soldaten werden von amerikanischem Militär in der Post und im Gasthaus „Zur Eisenbahn“ untergebracht; desgl. diente auch das Sägewerk Ach einer solchen Unterbringung. Am Tage dürfen sich die Soldaten, unter Bewachung, auf dem Anger bei der Ledermühle aufhalten. Die Einwohner versorgen sie mit Verpflegung und Rauchwaren. Die freie Unterhaltung war gestattet, und hier und da traf der eine oder andere - auch Flüchtlinge - Verwandte oder Bekannte.

Der 20. Mai bescherte den Christen das Pfingstfest - und ein pfingstliches Wetter dazu, warm, hell, sonnig.

 

Eine persönliche Notiz

 

Auf der Flucht aus dem Sudetenland machten meine Frau, Eleonore Waetzmann, geb. Stelzer, ich, Kanot und Lehrer Karl Waetzmann aus Groß-Wartenberg und meine Tochter Ingeborg Wörner, geb. Waetzmann, Ehefrau des noch im Wehrmacht-Sanitätsdienst stehenden Pastors Bernhard Wörner aus Haynau in Schlesien, hier in Vohenstrauß Halt.

Wir wollten rasten von den Strapazen und Anstrengungen des Vertriebenenseins. Wir kamen aus Blisowa, Kreis Bischofteinitz, wo ich noch als Lehrer an der dortigen Schule eingesetzt war.

Hier in Vohenstrauß fanden wir in dem evangelischen Pfarrhaus eine freundliche Aufnahme. Es sei gestattet, den Pfarrersleuten Herrn Ludwig Hopf und seiner Gattin, an dieser Stelle Dank dafür zu sagen, daß sie Ostvertriebenen Ruhe gewährten nach soviel Unruhe und Angst. Ein herzliches „Vergelt’s Gott“!

Für meine Ehefrau wurde es in Vohenstrauß die letzte Ruhestätte, Gott holte diese nierenkranke, durch Strapazen bis zum Äußersten geschwächte, gute und treue Frau am 30. Juni 1946 zu sich zur ewigen Ruhe. Sie, die die Sehnsucht im Herzen nach der östlichen Heimat hatte, fand das letzte Plätzchen auf Erden auf dem hiesigen Friedhof - von hier aus hält sie ihren Einzug in die ewige Heimat.

Gott schenke ihr Frieden und lasse sie in Herrlichkeit schauen, was sie hier auf Erden geglaubt hat.

Reste in pacem!

 

Fahren wir in der lokalen Berichterstattung fort:

 

Zum ersten Mal erscheint als erste Zeitung „Der Bayerische Tag“, später die „Regensburger Post“. Beide werden in der Kanzlei des Rathauses zum Preise von 20 Pfg. das Stück verteilt.

 

Am 22. Mai will man wieder das Altersheim besetzen. Nach Rücksprache mit dem amerikanischen Feldgeistlichen nimmt man aber davon Abstand. Das Haus ist als kirchliches Gebäude von einer Beschlagnahmung frei.

 

Wieder setzt der Flüchtlingsstrom unvermindert von neuem ein. Trecks um Trecks durchfahren die Stadt. Flüchtlinge, die vor 17 Uhr eintreffen, müssen weiterfahren. Gespannbesitzer müssen Flüchtlinge weiterschleusen, gewöhnlich bis Waldthurn. Von dort übernehmen sie die dortigen Gespannbesitzer. Alles, was nach 17 Uhr eintrifft, wird verpflegt und darf hier übernachten.

 

Ein tödlicher Zwischenfall

 

Ein deutscher Soldat, der mit dem Rade in Richtung Moosbach fuhr, wurde am 24. Mai von amerikanischen Soldaten erschossen. Er fuhr trotz Aufforderung, anzuhalten, weiter, Es wurde bei ihm gefunden: ein Trauring, 1938 eingraviert, etwas Wäsche und ca. 200 RM. Da er keinerlei Papiere bei sich trug, wurde er am folgenden Tage, dem 25. Mai, auf dem hiesigen Friedhof beerdigt.

Ich füge hier einen Nachtrag zu diesem Vorfall ein: Über den Tod dieses unbekannten Soldaten habe ich erst im Zuge meiner jahrelangen Forschungen insgesamt zu den Vorgängen in Vohenstrauß von 1945 im Mai 1950 Folgendes in Erfahrung bringen können:

Am 24. Mai 1945 klopfte gegen 6 Uhr morgens ein fremder Soldat an die Haustür von Familie Fuchs in der Wittschauer Gasse Nr. 87, gegenüber der katholischen Kirche. Er war bekleidet mit einer Drillichjacke und einer Militärhose; auf dem Rücken trug er einen Rucksack. Er erkundigte sich bei Frau Fuchs, wie er wohl am besten und auf kürzestem Wege aus der Stadt käme, ohne den Amerikanern in die Hände zu fallen. Sie wies ihm einen Weg nach der Reichsstraße 14 in Richtung Braunetsrieth und weiter zur tschechischen Grenze. Dort wollte er angeblich seine Einheit suchen. Nach kurzer Zeit hörte Frau Fuchs drei Schüsse fallen. Ihre Annahme, daß die Amerikaner nun doch den Soldaten entdeckt hätten, hatte sich bewahrheitet. Der Soldat hatte von Frau Fuchs den Weg hintenherum am Finanzamt und an der Gärtnerei Hofmann vorbei nach der Reichsstraße geschildert erhalten. Er ging auch an der Gärtnerei Hofmann vorbei auf dem Hohlweg, der bei der Gendarmerie-Station in die Reichsstraße einmündet. Dort glaubte er, sicher zu sein und bog auf seinem Fahrrad in die Straße ein. Hier stand an der Ecke ein Doppelposten der Amerikaner. Dieser sagte später aus, sie hätten den deutschen Soldaten angerufen und zu halten aufgefordert. Er aber fuhr weiter, worauf sie feuerten. Von drei Schüssen getroffen, stürzte er vom Rad und war sofort tot. Aus der gegenüberliegenden Gendarmeriestation beobachteten Gend.-Oberwachtmeister Josef Jäger und seine Frau den Vorgang.

Man ließ zunächst den Mann, das Rad und den Rucksack liegen. Nach der Ablösung meldete der Doppelposten das Geschehen den amerikanischen Kommandanten. Desgleichen wurde von dort die Städtische Kanzlei verständigt. Damaliger Polizeichef war ein Herr Dr. Happ.

Nun wurde Franz Kurzka, seinerzeit Friedhofswärter, benachrichtigt, den Toten zu bergen. Er brachte zusammen mit Andreas Eichelt den Soldaten in den städtischen Stadel, gegenüber dem Grundstück von Bamler. Dort nahm man dem Toten, was er bei sich getragen hatte, ab: den Rucksack mit etwas Wäsche, ein Messer und ein Brustbeutel. In letzterem befand sich eine Uhr, ein Trauring (1938 eingraviert) und etwas über 200 RM. Man gab alles in der Kanzlei ab. Militär- und andere Papiere fand man nicht.

Am 25. Mai nachmittags 4 Uhr wurde der Mann von Franz Kurzka und Andreas Eichelt als „unbekannter“ Soldat still beigesetzt. Sein Grab bekam die Nr. 301. Den Sarg lieferte Schreinermeister Eduard Kohler, Schulgasse Nr. 28.

Erst im Jahre 1946 gab die amerikanische Militärregierung die Papiere, die man dem Toten doch abgenommen hatte, heraus, und so konnte er identifiziert werden:

Sein Name ist: Otto Erkelenz; geb. am: 7. März 1914 in Köln, - gefallen am: 24. Mai 1945 in Vohenstrauß. Seine letzte Einheit war: 5. Komp./Landesschützen-Batl. Nr. 554. Seine Erkennungsmarke: Wehrkrs. - Ers. Dep. VI 30 232.

Erkelenz war verheiratet; im Zivilberuf war er kfm. Angestellter. Man benachrichtigte seine Frau. Die erschien auch einmal eines Tages mit ihrem 9jährigen Jungen bei Frau Fuchs, wo sie auf einem gemeinsamen Gang zum Friedhof die Vorgänge von damals erfuhr.

Frau Fuchs pflegt weiterhin den mit einem Birkenkreuz versehenen Grabhügel.

 

Hierbei seien noch zwei Bemerkungen betreffs unseres Friedhofes eingefügt:

Er birgt noch zwei Soldatengräber. Nach dem Einmarsch der US-Armee am 24. April 1945 wurden in der Gegend der Städtischen Turnhalle gegen ¾ 8 Uhr zwei SS-Soldaten erschossen. Ein Kampf hat nicht stattgefunden. Einige in der Turnhalle untergebrachte Zivilpolen, die auf den Dörfern gearbeitet hatten und nun von der Stadt hier verpflegt wurden, mußten die Toten zwischen Turnhalle und Schützenhaus, so wie sie lagen, eingraben.

Erst am 10. Mai 1945 wurden beide von Franz Kurzka und Andreas Eichelt ausgegraben. Wertgegenstände und Papiere kamen bei der Exhumierung nicht zum Vorschein. Nachdem Herr Tischlermeister Johann Kirner- Brauhausgasse 49/95 - die Särge geliefert hatte, wurden auch diese unbekannten Soldaten gegen 9 Uhr vormittags am 10. Mai 1945 an der Kirchhofsmauer, nordöstlich vom hohen Kreuz, still beerdigt. Birkenkreuze mit Stahlhelmen bezeichnen ihre Ruhestätte. Unbekannte Hände schmücken auch diese Gräber stets mit Blumen.

 

Ferner: Franz Kurzka, als Friedhofsverwalter, konnte mir mitteilen, daß die Sterblichkeitsziffer in den Jahren 1945/46 außerordentlich hoch gewesen sei.

1945: 97 Beerdigungen -

1946: fast die gleiche Zahl.

Es mangelte bald an Beerdigungsplätzen. Der neue Teil des Friedhofes wurde erst 1946 angelegt. Die hohe Sterblichkeitsziffer in den genannten Jahren dürfte in der damals mangelhaften Ernährung ihre Erklärung finden. Soweit der Nachtrag aus dem Jahre 1950.

 

Begeben wir uns zurück in das Schicksalsjahr 1945.

Da strömen uns Radiomeldungen entgegen, wonach die Flieger Mölders und Udet sowie Staatsrat Todt (früher Aufbauwerk Organisation Todt), die alle einst ein Staatsbegräbnis erhalten hatten, also für tot erklärt worden waren, - jetzt lebend in einem KZ-Lager aufgefunden worden sein sollen. Und: Himmlers Verhaftung sei gelungen - aber er habe sich durch Gift der irdischen Justiz entzogen. Schließlich: bis zum 5. Juni 1945 müssen alle Reichsdeutschen die Tschechoslowakei verlassen haben.

 

In Vohenstrauß wird Landrat Schindelbeck verhaftet.

 

Am 27. Mai feiern beide Konfessionen das Trinitatisfest. Um 2 Uhr nachmittags ist Gottesdienst protestantischer Amerikaner in der ev. Kirche. Etwa 200 Mann mit ihren Offizieren nehmen daran teil. 30 Personen gingen anschließend zum Heiligen Abendmahl. Hierbei werden Einzelkelche gereicht. Zu jedem Gottesdienst verteilt ein Diakon gedruckte Texte mit dem Bild der Kirche. Glaubensbekenntnis und Vaterunser werden gemeinsam gesprochen. Ein ausgebildeter Bariton (Sänger) ist zugleich ihr Organist. Er singt oft im Gottesdienst Arien deutscher Komponisten (Haydn, Wolf), die Herr Karl Pöllmann, Organist der kath. Kirche in Vohenstrauß, auf der Orgel begleitet.

 

An zwei Tagen steht der Zivilbevölkerung das Städtische Bad zur Verfügung. Die übrigen Tage wird es von den 600 Mann Besatzung benutzt.

Ebenso wird das Kino fleißig von den Soldaten besucht. Die Zivilbevölkerung hat hier noch keinen Zutritt.

Weiter kommen Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei in Massen hier durch.

Erfreulicherweise ist die Stromzufuhr wieder in Gang gebracht worden.

Saarländer und Hamburger (sogen. Evakuierte) kehren heim. Mit einheimischen Lkws geschieht ihr Rücktransport bis nach Wernberg. Dort übernehmen Wernberger Autos die Weiterfahrt. Manche Wagen gehen allerdings direkt bis Hamburg durch, um auf der Rückfahrt Waren von dort herzubringen. Da Hamburg sehr zerstört ist, finden manche Rückwanderer kein Quartier und müssen Aufnahme in einem Sammellager finden.

Von hier verlassen nun auch die letzten Reste des KLV-Lagers Hamburg die Stadt.

Der Lagerleiter Noelle wird von den Amerikanern verhaftet. Er hat Ausrüstungsgegenstände seiner HJ-Jungen (Fahrtenmesser u.ä.) nicht abgeliefert, sondern vergraben - angeblich auf Befehl seines Gauleiters.

 

8. Juni - Besatzungstruppen lösen die Kampftruppen ab

 

Am 8. Juni 1945 treffen die eigentlichen Besatzungstruppen für Vohenstrauß und Umgebung hier ein. Sie lösen die bisherige Kampftruppe ab.

Das Rathaus wird von ihnen fast vollkommen belegt. Auf sie geht die Aufsicht über Stadt und Landkreis über. Von 800 Mann bleibt die Hälfte in der Stadt, die anderen verteilen sich auf Altenstadt, Eslarn, Waidhaus u.a..

Die Ausgehzeit wird bis abends ½ 10 Uhr verlängert. Man kann sich jetzt auch 20 km im Umkreis vom Ort entfernen, vorausgesetzt, daß man seinen Ausweis mit sich führt. Ein Überschreiten der Tschechischen Grenze ist verboten.

 

Bei den Flüchtlingen mehren sich recht häufig die Todesfälle. Ursachen sind Tbc (Tuberkulose), bei alten Leuten Unterernährung und Erschöpfung, bei kleinen Kindern der Mangel an Pflege und Ernährung (vgl. oben die hohe Sterblichkeitsziffer).

Pfarrer, Ärzte, Krankenschwestern und politisch unbelastete Personen erhalten Pässe für die Nacht von der Kommandantur  ausgestellt. Nachtpatrouillen kontrollieren sie.

Jeder Einwohner erhält einen Registrierschein, den er stets bei sich zu führen hat und der auf Verlangen den Hütern der Ordnung vorzuweisen ist. Viele Grenzgänger werden verhört und festgehalten, so ist im Rathaus ein lebhafter Betrieb, ein ständiges Kommen und Gehen. [...]

 

Das Leben in der Stadt nimmt wieder seinen normalen Gang

 

Das Stadtbild wird belebt durch das Militär. Bei dem amerikanischen Kommandanten erscheint eine Abordnung der Volksdeutschen aus Batschka (Rumänien). Sie sind in Pleystein untergebracht. Ihre Bitte ist: der Kommandant möge sich doch der jungen Deutschen ihrer Heimat, etwa 58.000 Mann (!) annehmen, welche 1942 gezwungen wurden, in SS-Formationen einzutreten.

Aber würde selbst bei Weiterleitung dieser Bitte eine nützliche Hilfe herausspringen? Dem Chronisten ist leider der Ausgang dieser Sache nicht bekannt geworden.

 

Auf den hier durchziehenden Trecks befinden sich übrigens auch Volksdeutsche aus der Bukowina. Sie sind sehr niedergeschlagen, die Sehnsucht nach der Heimat frißt in ihren Herzen genauso wie in denen aller Deutschen vom Osten; doch wissen alle nicht, ob ihnen der Russe je die Rückkehr in die urdeutsche Heimat gestatten wird!

 

Am 25. Juni wird die Kreis- und Stadtsparkasse wieder eröffnet.

 

Als Landrat des Kreises Vohenstrauß wird von der Kommandantur aus Herr Kr. Friedrich, ein Studienprofessor aus Weiden, eingesetzt. Zum ersten Bürgermeister wird Kaufmann Karl Ries, zum zweiten Bürgermeister Schneidermeister Hans Kett von hier eingesetzt und bestätigt.

 

Wieder beziehen 200 Polen das Schulhaus, die rot-weiße Polenfahne verkündet ihre Anwesenheit.

 

Die Dienstzeit des amerikanischen Organisten ist (entsprechend seiner Punktzahl) um; er kehrt, angeblich an eine Oper verpflichtet, nach Amerika heim. Der Verfasser dieser Chronik übernimmt als Kantor und Lehrer das Orgelspiel im Truppengottesdienst. Die Gottesdienste sind stets gut besucht.

 

Der Anfang des Monats Juli bringt nichts von Bedeutung. Handel und Wandel gehen ihren geordneten Gang. Landwirte, Beamte, Gewerbetreibende haben ihre ausreichende Beschäftigung.

Zwar ist der Strom der durchziehenden Trecks noch nicht abgerissen, aber es kommen doch schon weniger Flüchtlinge hier an. Der Grund dürfte vor allem darin zu suchen sein, daß auf beiden Seiten die Grenzen geschlossen sind.

Am 15. Juli wird der amerikanische Geistliche Edgar H. Stohler nach USA zurückgerufen. Sein Nachfolger wird Chaplain Neighbours. Wir tragen hier auch den Namen des ausgeschiedenen amerikanischen Baritons und Organisten nach: er hieß

S/Sgt. B. A. Loring. Der Diakon war Chaplain M. Veltkamp.

 

Was die Non-Fraternitätsbestimmungen der amerikanischen Soldaten gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung betrifft, so ist zu vermelden, daß es den Soldaten verboten war, mit dem Einwohnern zu verkehren, ja nicht einmal mit ihnen zu sprechen oder ihren Namen zu nennen. Jetzt wurde diese Bestimmung aufgehoben. Nach Aufheben dieser Nichtverbrüderungs-Bestimmung trat die Besatzungsmacht rasch in ein freundliches Verhältnis zur Bevölkerung. [...]

 

Mitte Juli ziehen die Polen die rot-weiße Fahne ein, räumen das Hauptschulhaus und verschwinden.

Deutsche Kriegsgefangene, die in der Selrmann-Fabrik untergebracht sind, werden täglich zur Arbeit (Wegebau) geführt. Über Unterbringung und Verpflegung ist bei ihnen kein Anlaß zur Klage. Für sie werden auch Gottesdienste abgehalten.

Ab 23. Juli kommen auch wieder Postsachen an und das Postscheckamt arbeitet erneut.

 

Ein Großer Teil der Besatzung rückt ab, es bleiben nur wenig Panzer und Fahrzeuge hier.

Vielleicht im Zusammenhang damit durchläuft am 24. Juli wieder die Fama die Stadt - diesmal mit einer Alarmnachricht: angeblich soll die amerikanische Besatzung durch russische Truppen abgelöst und die tschechische Grenze bis zur Wald-Naab vorverlegt werden. Die Stimmung der Bevölkerung sank auf Null.

Es war eben doch nur ein Gerücht - der Traum der Tschechen!

 

Ende Juli setzt, auf Anordnung der Kommandantur, eine Säuberung der Ämter von Pgs (Nazi-Parteigenossen) ein. Auch Mitglieder der „Frauenschaft“ werden entlassen. Der einstige Landrat Schindelbeck verliert seine Wohnung, die Einrichtung wird beschlagnahmt. Auch Forstmeister Wolf wird seines Amtes enthoben.

 

Anfang August ereignen sich keine nennenswerten Vorgänge. Bahn, Post und Güterverkehr kommen zu der letztmöglichen Ordnung. Auf den Chausseen patrouillieren in Jeeps (amerikanische Heeresautos) noch immer Soldaten zur Aufrechterhaltung der Ordnung, was von der Bevölkerung dankbar begrüßt wird. Weniger angenehm sind, infolge des bestehenden Waffenverbots, morgendliche Kontrollen in den Häusern der Einwohner. Diese Maßnahmen galten aber auch amerikanischen Gegenständen, da leider in die Lager der Besatzungsmacht eingebrochen worden war.

 

Ein Denkmal, an der Straße Vohenstrauß-Braunetsrieth, das einem SA-Mann [15] gewidmet war, wird still beseitigt. Jener SA-Mann verunglückte an der Stelle tödlich.

 

In der Umgebung von Vohenstrauß finden sich zwei Grabinschriften, die zu Soldatengräbern gehören:

-  Bei Burgtreswitz:  Willy Nowaczyk aus Dortmund-Brambauer.

Ich brachte in Erfahrung, daß N. ein SS-Mann war und bei der Besetzung des Dorfes auf Befehl des amerik. Kommandeurs der Panzerabteilung am 24.4.45 erschossen wurde.

-  Im Walde zwischen Vohenstrauß und Burgtreswitz:  Max Koch aus Coburg.

(Vgl. den Bericht über den Kreis, Teil II., über Burgtreswitz.)

 

Herr Landrat Dr. Friedrich geht wieder nach Weiden zurück in ein Schulamt.

Es wird nun Herr Hans Pösl, aus Saubersrieth stammend, durch den Kommandanten zum Landrat des Kreises Vohenstrauß eingesetzt.

Am Sonntag, dem 10. August, nachmittag 3 Uhr, beruft der Stadtkommandant eine Versammlung sämtlicher Bürgermeister des Kreises und der Geistlichen im großen Rathaussaal. Seine Ansprache wird durch eine Dolmetscherin, Frau Jura, übersetzt. Er sprach über das Thema:

 

„Was die amerikanische Besatzung will!“

 

Wir referieren hier den Sinn seiner Worte: Man wolle amerikanischerseits Ausmerzung des Nazitums, nie wieder einen Angriffskrieg durch Deutschland. Andererseits wolle man den Deutschen helfen, daß sie ihr Leben selbst gestalten können, um später wieder in den Kreis friedliebender Nationen eingereiht zu werden. Betont wurde, daß sich noch immer eine, oft versteckte, aber doch fühlbare, starke Opposition bemerkbar mache, so besonders im Nichtbefolgen von Anordnungen der Militärbehörde. Das trage nicht zum Vertrauen beider Partner bei. Es fehle noch der demokratische Geist. Diesen Geist der Gemeinschaft müsse man erleben und dem heranwachsenden Kinde und Jugendlichen vorleben. Unsere ganze Hoffnung und Liebe wird diese deutsche Jugend sein. Ihr wollen wir helfen, sie speisen und kleiden und ihren Geist wollen wir lenken und bilden.

 

Herr Landrat Bösl dankt dem amerikanischen Major für seine zu Herzen gehenden Worte und verspricht einen reibungslosen Verkehr zwischen Bevölkerung und Besatzung zu sichern und alles zu tun, was in seinen Kräften stehe. Er bittet gleichzeitig die anwesenden Bürgermeister, ihr Amt in Treue und Sorgfalt zu führen. Nur so können auch sie ihn in seinem Amte unterstützen.

Soweit der Bericht von dieser Versammlung.

 

Am 14. August sollen die letzten noch hier weilenden Polen von Weiden aus mit der Bahn abtransportiert werden. Einige kehren später zurück.

 

Anfang Juli wurde Dr. Wisbert, ein Evakuierter, Polizeichef.

 

Bis Ende August mußte man vom Bürgermeister einen Erlaubnisschein beibringen, wenn man die Eisenbahn benutzen wollte. Ziel, Zweck und besondere Gründe waren darauf vermerkt. Vom 1. September ab darf nunmehr die Bahn ohne Genehmigung der Militär- und Zivilbehörde benutzt werden. Doch darf das Ziel der Reise 50 km nicht überschreiten.

 

Beisetzung der Opfer der Todesmärsche in Pleystein

 

Am 2. September wurden 140 KZ-Opfer des Naziterrors in schlichten Särgen mitten auf dem Pleysteiner Marktplatz beigesetzt.

Bisher waren diese Armen wahllos verstreut auf Wiesen, Feldern und in Wäldern, bisweilen in Massengräbern oder einzeln verscharrt gewesen. Man wollte ihnen nun eine würdigere Beisetzungsstätte schaffen. Dazu sollte Pleystein entweder einen Teil des Friedhofes oder daran anschließend Land zur Verfügung stellen. Es gab der amerikanische Major in Vohenstrauß selber durch Befehl den unschuldigen Opfern einen würdigen Raum in der Mitte des Marktplatzes.

Parteigenossen wurden zu den Ausgrabungen herangezogen. Der BDM (Bund Deutscher Mädel) mußte zur Beisetzungsfeierlichkeit Kränze winden. Aus jedem Hause hatte sich ein Einwohner an der Feier zu beteiligen. Die Feierliche Veranstaltung fand um 9 Uhr mit einem Requiem und einer Rede des dortigen Stadtpfarrers Wittmann statt.

Zwischen den Gräberreihen, die namenlos sind, ist ein schlichtes Denkmal errichtet; ein Granitblock mit einer Opferschale und einer zweiseitigen Inschrift:

 

„Hier ruhen 140 Männer aller Nationen,

die von der SS grausam ermordet wurden“

 

Nachtrag:  Ende November 1949 wurden diese Toten abermals umgebettet und zwar nach Rücksprache mit den amerikanischen Behörden nach Neunburg vorm Wald. Hier fanden sie ihre endgültige, ebenfalls würdige Ruhestätte.

 

Am 3. Sept., früh um 5 Uhr, erfolgte schlagartig eine Hausdurchsuchung aller Grundstücke durch amerikanisches Militär. Man fahndete wieder einmal nach Waffen und Plünderungsgut. Die Aktion verlief fair und human, und die Einwohner kamen mit dem Schrekken davon.

 

Da die katholische Haushaltungsschule für Schulzwecke gebraucht wird, werden Evakuierte aus Köln im ev. Kinderheim untergebracht. Nur einige schlesische Vertriebene bleiben dort, wo sie bisher untergebracht waren.

 

Am 18. September verläßt Polizeichef Dr. Wisbert die Stadt. Sein Nachfolger ist der Sudetendeutsche Bruno Hannewald.

 

Infolge starker illegaler Grenzgängerei ist das Gefängnis oft überbelegt. Die illegalen Grenzgänger werden zu Protokoll vernommen und dann entweder abgeschoben oder auf ihren Wunsch in ein deutsches Auffanglager gebracht.

Zeitungen erscheinen wieder, aber noch in beschränkter Anzahl. Sie werden in der Kanzlei weiterhin ausgegeben.

Die Einwohner versuchen, soweit Material heranzubringen ist, ihre Häuser und Wohnungen, die durch Beschuß gelitten haben, wieder in Ordnung zu bringen. Denn bald naht der Winter. Augenblicklich sind noch schöne Herbsttage, und die Hackfruchternte kann beginnen. Besonders gut sind diesmal die Kartoffeln geraten. So sehen die Menschen mit weniger Sorge dem Jahresende und Winter entgegen. Gering war allerdings die Fettzuteilung, welche auf Marken rationiert ist. Dagegen kann man mit der Fleischration zufrieden sein.

Schließlich ist in Betracht zu ziehen, daß wir auf engem Raum zu viele Menschen sind, die alle versorgt sein wollen. Bei dem noch ständig anhaltenden Zuzug von Menschen aus der Tschechoslowakei, wo nun auch die letzten Deutschen das Land verlassen müssen, macht sich allmählich auch der Wohnungsmangel bemerkbar.

Ein Wohnungsamt, bestehend aus dem 2. Bürgermeister und 2 Ratsherren, sorgt für möglichst gerechte Zuteilung an Wohnraum und stellte gleichzeitig die Schlichtungsbehörde bei Streitigkeiten dar. Ihm anzugehören war keine leichte Aufgabe, weil es naturgemäß ständig Reibungsflächen unter den Wohnparteien gab.

Ein Flüchtlingskommissar vertrat die Belange der aus dem Osten Vertriebenen. Und zwar vertrat er diese Belange gegenüber der einheimischen Behörde. Auch sein Amt war kein beneidenswertes. Ihm fehlten vielfach auch die materiellen Mittel, um bei dem Mangel an den allernötigsten Gebrauchsgegenständen in den meisten Fällen helfend eingreifen zu können. Schließlich brachten die Vertriebenen nur ganz wenig Gepäck auf bestenfalls kleinen Wagen oder gar nur Handwagen mit oder u. U. nur das, was sie in den Händen hatten tragen können. Von den Leid der Vertriebenen wollen und können wir hier nicht in Einzelheiten berichten. Die unendlichen Roheiten, Vergewaltigungen, Menschenunwürdigkeiten und was noch mehr an körperlichem und seelischem Leid angeführt werden müßte, das alles ist an zuständigen Stellen aufgezeichnet und wird der Nachwelt zur steten Abschreckung aufbewahrt werden. [...]

 

Das Erntefest 1945 nahte. Eine gute Jahres-Mittel-Ernte war unter Dach und Fach gebracht worden und in den Kirchen sang man. [...]

 

Nach und Nach werden die Besatzungstruppen verringert. Man spürt sie schon kaum mehr. Das Verhältnis zur Zivilbevölkerung ist ein gutes. Sie gewähren uns Schutz gegen den unruhigen Nachbarn. Ihre motorisierten Polizeistreifen auf den öffentlichen Straßen erhöhen unsere Sicherheit; denn noch immer geschehen Einbrüche und Räuberei auf einsam gelegene Höfe. So kommt der Winter heran. Die Kohlenknappheit macht sich sehr empfindlich bemerkbar. Man ging in den Wald und sucht dürres Holz, Tannen- und Kiefernzapfen, um den zugebilligten Holzvorrat (pro Haushalt 2 Ster) zu strecken. Viele Familien kochen gemeinsam, um so möglichst viel Holz zu sparen. Leider fehlte für alte Leute eine Wärmehalle, die als Tagesraum dienen konnte.

 

Weihnachten, das Fest der göttlichen Liebe und Treue steht vor der Tür. [...] Die Amerikaner, unter Führung ihres Majors, stifteten von ihren Weihnachtsgeschenken Gaben für Arme und für Insassen des hiesigen Krankenhauses. So brachten auch sie Licht und Freude. Auch den Kindern und alten erwerbsunfähigen Menschen wurden Geschenke der Besatzungsmacht und Spenden des BRK[16] in einer Christfest-Feierstunde beschert.

 

Langsam neigte sich das Schicksalsjahr 1945 seinem Ende zu! Die Sylvesterglocken läuteten das alte Jahr zu Grabe, ein neues hat angefangen. - Möge es ein Jahr der Gnade sein! Cum Deo - Mit Gott!

 

 

Anmerkungen:

 


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[1]  Der Oberlehrer a. D. Karl Albert Otto Waetzmann kam am 11. Juni 1945 als Flüchtling aus Schlesien nach Vohenstrauß. Geboren am 4. Mai 1885 in Groß-Wartenberg/Schlesien, kam er über Blisowa/Böhmen nach Vohenstrauß. Er verstarb am 11. Mai 1966 in Metelen/Westfalen.  Karl Waetzmann hat die Recherchen über die Begebenheiten in der Stadt und dem Altlandkreis Vohenstrauß in den Jahren 1948 bis 1951 auf Bitten der Stadt Vohenstrauß gegen Honorar durchgeführt. Die Erinnerung war noch frisch, die Daten zuverlässig. Er führte Recherchen durch, befragte seinerzeit Zeitzeugen, holte Informationen von allen möglichen Stellen und Personen ein und schrieb die Dokumentationn auch nach eigenem Erleben. Es entstand ein Geheft von ca. 132 Schreibmaschinenseiten, das in der vorliegenden Fassung sprachlich unverändert, wenn auch gekürzt wiedergegeben wird. Die Kürzungen beziehen sich lediglich auf allgemeine Ausführungen, die mit der Vohenstraußer Situation nicht direkt zusammenhängen. Der Übersichtlichkeit halber wurde der Text vom Herausgeber in Kapitel aufgeteilt und mit zusätzlichen Überschriften bzw. auch Fußnoten versehen.

[2]  Der Volkssturm wurde durch Erlaß Hitlers am 25.9.1944 unter  Einbeziehung der SA zur Verteidigung des "Heimatbodens" in den von Kriegsgegnern bedrohten östlichen Provinzen ins Leben gerufen. er sollte alle noch nicht zur Wehrmacht eingezogenen Männer zwischen 16 und 60 Jahren umfassen, die entbehrlich waren: z. T. vom Wehrdienst befreite Facharbeiter und Bauern, in der Mehrzahl Wehruntaugliche, später auch Greise und Gebrechliche. Der Volkssturm unterstand den Gauleitern als Reichsverteidigungskommissaren und stellte nach Hitlers Absichten als Mobilisierung der deutschen Volkskraft neben der Wehrmacht den zweiten Großeinsatz dar, der den vermeintlich nahe bevorstehenden Endsieg mit erzwingen sollte (Lexikon der deutschen Geschichte, Kröner, 1979).

[3]  Schutz-Staffeln, s.a. Toni Siegert, Kriegsende ´45 in Nordostbayern, Heimat - Landkreis Tirschenreuth, Sonderband 2, 1995, S. 68: "   Welche SS-Truppe es an einem bestimmten Ort im einzelnen war, die in diesen letzten Kriegstagen die Oberpfalz nicht etwa sicherer, sondern umgekehrt unsicher machte, ist aufgrund der schlechten Quellenlage nicht mehr nachvollziehbar.   In der historischen Forschung gilt inzwischen als Tatbestand gesichert, daß sich [...] in Bayern insbesondere das berüchtigte XII. SS-Armeekorps unter SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Max Simon hervortat [...]"

[4] Konzentrationslager, s.a. Toni Siegert, Kriegsende45 in Nordostbayern, Heimat - Landkreis Tirschenreuth, Sonderband 2, 1995

[5]  Kinderlandverschickung

[6]  Werwolf: In der Endphase des 2. Weltkriegs wurden von Himmler Partisaneneinheiten aufgestellt, die beim Einmarsch der Alliierten in das deutsche Reichsgebiet jedoch in Einzelaktionen stecken blieben (Sperre auf Nachschubstraßen, Mordanschläge u. a. auf amerikanische Soldaten). Diese militärisch wertlosen Aktionen hatten Geiselerschießungen durch den Gegner zur Folge (Lex. d. deutschen Geschichte, Kröner, 1979) - s. a. Toni Siegert, Kriegsende ..., S. 67: "Die wenigen versprengten deutschen Werwolfeinheiten, die im Raum Schönsee-Eslarn operierten und wozu beispielsweise der bekannte Schriftsteller Erich Loest gehörte, waren bedeutungslos ..." - s. a. Erich Loest, Durch die Erde ein Riß, Fischer-Taschenbuch, 1984, S. 84 - 97

[7]  Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

[8] Hitlerjugend  

[9]  Bund Deutscher Mädchen

[11]  s.a. Peter Heigl, Konzentrationslager Flossenbürg, Regensburg, Buchverlag der Mittelbayerischen Zeitung, 1989, S. 17 - 52  -  s.a. Toni Siegert, 30000 Tote mahnen, Taubald Weiden, 1984, S. 61 - 68

[13]  s.a. Rainer Ostermann, Kriegsende in der Oberpfalz, Ein historisches Tagebuch, Regensburg, Buchverlag der Mittelbayerischen Zeitung, 1995, S. 136-137

[14]  Waetzmann "Aber wie so oft auch im Leben ganzer Völker, nicht nur einer Stadt, ein vorzeitiger, unbedachter Schuß, die verhängnisvollsten Wirkungen auslöst, so geschah es auch in Vohenstrauß. Es war der Schuß vom 23. April, der den Beschuß von Altenstadt und Vohenstrauß als Vergeltung zur Folge hatte und neben erheblichem Materialschaden sechs Menschenleben als Blutzoll forderte. Insgesamt wurden eine Beute des Todes:

   1 amerikanischer Feldwebel,

   1 unbekannter deutscher Marinesoldat (Anm. d. Hg.: Der Tod des Marinesoldaten wird nicht näher erklärt)

   und vier deutsche Zivilisten:

   in Vohenstrauß waren es: Frau Sellschopp, Frau Schönberger und Frl. Ebnet

   in Altenstadt: Herr Uhrmachermeister Karl Dobmeier.

   Ein Arbeitsdienstmann - ein Schuß - sechs Opfer!"

[15]  Sturm-Abteilung

[16]  Bayerisches Rotes Kreuz