Vorbemerkung
Auf
Anregung des derzeitigen Bürgermeisters, Herrn Schuhmachermeister Erhard
Wagner, und des Stadtoberinspektors, Herrn Josef Dietl, Sohn des
Schneidermeisters Josef Dietl, von hier, habe ich es unternommen, Leben
und Zustände der Stadt Vohenstrauß im Schicksalsjahr 1945, wie es sich
mir aus Aussagen, Aufzeichnungen und eigenem Erleben darstellte, zu
schildern, um sie für spätere Zeiten festzuhalten und so dem Vergessen
zu entreißen. [...]
Welches
Elend damit verbunden war und welches große Leid die Folge davon sein mußte,
davon sollen auch diese Blätter im folgenden künden.
Januar
- März 1945 - Flüchtlinge, Flieger, Furcht
[...]
Wir tun vielleicht gut, chronologisch vorzugehen und nicht nur die
eigentliche Besetzung der Stadt durch die amerikanischen Truppen - am
Dienstag, dem 24. April 1945 - zu schildern, sondern das ganze
Schicksalsjahr 1945 an unserem geistigen Auge vorüberziehen zu lassen.
Das
Jahr 1945, als letztes Kriegsjahr, bereitet Deutschland durch die heftigen
Fliegerangriffe auf große Städte viel Sorgen. Am 2. Januar hatte Nürnberg
einen schweren Fliegerangriff durchzumachen, viele Angehörige aus
Vohenstrauß werden mit betroffen und haben große Verluste. Kirchen, die
Burg und viele Gebäude werden zerstört, viele Menschenleben vernichtet.
Am
16. und 21. Januar überfliegen starke Fliegerverbände Vohenstrauß.
Der
20. Januar ist der Sonntag für das Volksopfer.
Am
29. Januar wird die Haushaltungsschule des hiesigen Klosters als
Aushilfskrankenhaus, für aus Oberschlesien geflüchtete Kranke, mit 60
Betten eingerichtet.
Durch
Kohlenmangel und schlechte Lokomotiven tritt ein unregelmäßiger
Zugverkehr ein. Die Schulen sind wegen Kohlenmangels geschlossen.
Am
1. Februar findet eine Beerdigung (kath.) ohne Beteiligung der Kirche, nur
unter Teilnahme der Partei, auf dem hiesigen Friedhof statt.
Starke
Fliegerverbände überfliegen am 5. Februar die Stadt.
Nun
treffen außer schlesischen, auch ostpreußische Flüchtlinge hier ein und
finden Aufnahme. Sie kommen auf Lastwagen an und sind völlig erschöpft,
da unterwegs die Verpflegung recht mangelhaft war. Die Hoffnung auf eine günstige
Wendung des Krieges ist durch den Einbruch der Russen im Osten völlig
geschwunden.
Auch
in Vohenstrauß wird der Volkssturm
aufgerufen. Er soll den Heeresverbänden zur Auffüllung der Lücken
zugeteilt werden. Darüber ist hier große Erregung. Es verläuft aber
schließlich alles im Sande, und der Volkssturm tritt nicht in Tätigkeit.
Die
72. Lebensmittelperiode (5.2.-4.3.) wird, mangels an Zufuhr, stark gekürzt.
Am
15. Februar wird das Hilfskrankenhaus und die Hauptschule durch Alte,
Kranke und Sieche, aus Köln kommend, belegt. Sie wurden hierher von
Regensburg überwiesen.
Weiden
wird von Fliegerverbänden angegriffen - trotz Bordwaffenbeschuß entsteht
in der Stadt nur wenig Schaden.
Um
den 20. Februar werden SS-Verbände
in die hiesige Stadt und Umgebung gelegt.
Wieder
wird Nürnberg durch starke Verbände angegriffen (19. - 24. Febr.).
Bombeneinschläge sind hier gut zu hören.
Der
Schulunterricht ist ganz eingestellt worden (27. Febr.).
Am
28. Februar abends 8 Uhr, Ankunft von zwei Lastwagen, von Tachau/Tschechoslowakei
kommend, mit etwa 90 Flüchtlingen aus Glogau/Schlesien. Sie werden
verpflegt und untergebracht.
Der
Monat März brachte Kälte und reichlich Schneefall. Dadurch wurde die Not
der Flüchtlinge noch größer. Dazu kam noch die Kohlenknappheit. Beide
Kindergärten, die so dringend notwendig waren, mußten geschlossen
werden. Die Räume wurden den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Die
Sterblichkeit der durch die Flucht sehr geschwächten Menschen war groß.
Wie dankbar waren sie, die oft viele Tage frierend auf Wagen und Autos
gesessen und nichts Warmes bekommen hatten, nun in ein warmes Zimmer zu
kommen und warmes Essen in Empfang nehmen zu dürfen. [...] Am 2. März
kamen zwei Lastwagen, vollständig verschneit, mit Flüchtlingen aus
Bunzlau/Schlesien, die in den Kindergärten untergebracht wurden, wo ein
warmes Lager sie erwartete. Auf den Straßen und Gassen wehte ein eisiger
Nordostwind. Die kleinen Kinder und Säuglinge litten besonders unter der
grimmigen Kälte, viele starben. Die körperliche und seelische Not unter
den Menschen war entsetzlich groß. Kleinere und größere Trecks zogen
hier durch und rasteten nur stundenweise, um wenigstens ihre Tiere etwas
ausruhen zu lassen. Sie alle konnten aber mit einer warmen Suppe - Ausgabe
im Gasthaus „Wilder Mann“ in der Friedrichstraße - oder sonst durch
warmes Essen, daß die Einwohner bereitwillig hergaben, gestärkt werden.
Kinderlandverschickung
- Kriegsgefangene - KZ-Häftlinge
In
Eslarn war ein KLV-Lager
mit etwa 120 Oberschülern. Sie hatten die dortige Schule als Lager
bezogen und mußten nun, da die Schule als Lazarett für eine SS-Formation
gebraucht wurde, diese am 10. März räumen. Sie wurden nach hier verlegt.
So wurde das hiesige Auffanglager im Kindergarten geräumt und von dem
KLV-Lager übernommen.
Am
27. März passierten Tausende von Kriegsgefangenen aus aller Herren Länder,
auch Farbige, unsere Stadt, sie kamen von Norden und zogen nach Süden mit
unbekanntem Ziel. Nach der mitgeführten Gullaschkanone zu urteilen,
verpflegten sie sich anscheinend selbst. Die Kranken und Schwachen wurden
auf Pferdewagen mitgeführt. Die Gefangenen durchzogen die Stadt viele
Tage.
In
der Nacht vom 26. zum 27. März wurden die Einwohner durch Alarm
aufgeschreckt. Er galt der SS-Formation. Ein Funkspruch rief sie an die
Front. Hastig und lärmend verließen sie am frühen Morgen die um ihre so
nötige Nachtruhe gebrachte Stadt. Es sickerte durch, daß Hitler in
dieser Nacht durch Vohenstrauß angeblich gekommen sein sollte, um sich zu
Besprechungen mit seinen Stäben nach dem Zottbachhaus oder nach Pfrentsch
zu begeben. Genaueres war nicht in Erfahrung zu bringen. Eine Zeitlang war
das Hauptquartier mit General Kesselring in dem Dorfe Pfrentsch bei
Waidhaus (siehe später unter Bericht über Pfrentsch, Teil II).
April
1945 - SS, Volkssturm, Wehrwolf, Wehrmacht
Inzwischen
war auch das Wetter milder geworden und der Schnee teilweise verschwunden.
Die Sonne meinte es schon gut und schien warm vom wolkenlosen Himmel. So
war der 1. April ein schöner Ostertag. Die Glocken beider Kirchen riefen
die Gläubigen zum Gottesdienst, der von Flüchtlingen stark besucht war.
An
diesem Tage geschah auch der Aufruf an den „Werwolf“ ,
sich für Restdeutschland einzusetzen, den Herr Goebbels verlas. Die
Glieder des Werwolfes, bewaffnete, unreife Jungen, waren zum größten
Teil noch unmündige Kinder, 14 - 17jährige. Sie wollte man für eine
schon verlorene Sache - denn der Krieg war praktisch verloren - noch
einsetzen und opfern, um das eigene, kostbare Leben um einige Tage oder
Wochen zu verlängern. Man sah wohl sehr genau schon kommende Strafe und
Vergeltung. Ich höre noch Goebbels rufen:
„Jungens,
krallt euch in den Boden mit Händen und Zähnen und verteidigt euer
„Vaterland“ mit Einsetzung eures Blutes. Tut dem Feinde Abbruch, wo
ihr könnt; der Sieg wird euch dann sicher sein. Und - Gott wird euch
beistehen!“
Wenn
Goebbels und Hitler Gott anriefen - sonst sprach man immer nur von der
Vorsehung - dann stand unsere Sache schlecht und dann hatten wir irgendwo
eine Schlappe erlitten.
Ja
man schämte sich nicht, unsere Frauen aufzufordern, wie im Mittelalter,
auf die feindlichen Soldaten heißes Wasser zu gießen, um so die
Alliierten zu vernichten. Das konnte aber auch nur ein Mann wie Goebbels
anempfehlen, der nie Soldat war und von dem Ernst eines Kampfes vielleicht
gelesen, aber ihn nie erlebt hatte [...]
Nun
kam der Befehl, Panzersperren anzulegen - auch eine Sache, die den Ausgang
des verlorenen Krieges nicht aufhalten konnte. [...] Auch Vohenstrauß mußte
derartige Panzersperren an den Ortsausgängen anlegen. Am 8. April traf
eine Pionierabteilung hier ein, die bei der Holzbeschaffung behilflich war
und auch Angaben über die richtige Anlage der Sperren machte. Sie verließen
aber bald wieder die Stadt.
Am
11.4. durchfuhren bei Tag und Nacht Lastkraftwagen, besetzt mit Soldaten,
die Stadt. Ab und zu blieben einige da, wurden einquartiert und verpflegt.
Ihre Stimmung war nicht gut, vielmehr niedergedrückt und mutlos. [...]
Der
Stab - mit den Generälen -
lag in Eslarn. Generalfeldmarschall von Rundstett war in Vohenstrauß und
wohnte im Gasthaus zum „Wilden Mann“. Starke feindliche Fliegerverbände
überflogen Vohenstrauß, sie griffen Grafenwöhr an.
Der
evgl. Kindergarten wird, mit Genehmigung des Landrats Schindelbeck, wieder
eröffnet; er mußte aber in die Baracke des Kinderheimes umziehen.
Schwester Luise Albert betreut die Kleinen.
Am
12. April verkündigte der Rundfunk den Tod des amerikanischen Präsidenten
Roosevelt.
Die
Eisenbahnzüge auf der Strecke Weiden - Eslarn verkehren nur noch bis
Lohma, da in Pfrentsch das Hauptquartier mit General Kesselring lag und
alles abgesperrt wurde (Näheres siehe Teil II über Pfrentsch).
Die
Lazarette Eslarn und Waidhaus werden aufgelöst. Die Gebäude sollen
anderen Zwecken zur Verfügung gestellt werden. Der Abtransport der
Kranken und Verwundeten geschah in kürzester Zeit, fast fluchtartig. Das
so lange, noch während des Krieges, bestandene friedliche Bild der Stadt
und Umgebung muß nun einem kriegerischen Platz machen.
Am
13. April wird in die Stadt wieder viel Wehrmacht gelegt;
Nachrichtentrupps, Pioniere, Infanterie und Stäbe mit Kraftfahrzeugen
verschiedener Art beleben das Stadtbild; eine ungewöhnliche Unruhe
verbreiten die Soldaten, lebhafter Verkehr auf der Hauptstraße und viel Lärm
bei Tag und Nacht macht die Menschen unruhig und raubt ihnen den Schlaf,
da oft und überraschend mit Einquartierung zu rechnen ist; die Stadt ist
nun zur Etappe geworden und die Kampfhandlungen rücken immer näher.
Nun
bietet sich ein neues Elendsbild dar. Gruppen und Einzelpersonen, darunter
viele Ausländer beiderlei Geschlechts, ziehen durch die Stadt. Sie machen
einen verwahrlosten, heruntergekommenen Eindruck; haben keine
Lebensmittelkarten und ziehen bettelnd von Haus zu Haus. Man findet sie
irgendwo auf der Straße, wo sie an offenen Feuern abkochen und in
Scheunen oder auch Wäldern nächtigen. Ihr armseliges Gepäck führen sie
auf kleinen Handwagen mit. Nun herrscht auf den Landstraßen große
Unsicherheit. Es ist nicht ratsam, sich allein weit weg von bewohnten Plätzen
zu entfernen, da Diebstähle und Überfälle an der Tagesordnung sind.
Am
14. April war eine Verwaltungsabteilung der „Wehrmacht“ nur für ein
paar Stunden hier. Sie kamen aus Erfurt. Ihr Ziel war Grafenwöhr. Dort
wurden sie durch Bombenangriffe vertrieben, und so zogen sie nach Nürnberg.
Es hatte den Anschein, als ob schon eine straffe, einheitliche Führung
fehlte. Jeder Verband tat, auf sich gestellt, was er im Augenblick für
richtig fand.
Die
Kriegsereignisse entwickelten sich nun in atemberaubender Schnelligkeit.
Die
Amerikaner, die noch kurz vorher im nördlichen und westlichen Bayern
waren, stießen, nach der Meldung vom 15. April, bereits nach Bayreuth,
Kemnath und Grafenwöhr vor. Ihre vorprellenden Panzerspitzen haben
angeblich bereits Weiden erreicht, da ihnen keinerlei Widerstand geboten
wird. Aus der Gegend von Weiden ist auch tatsächlich Kanonenfeuer
deutlich hörbar. Die wenigen deutschen Truppeneinheiten, schon stark
dezimiert, rücken ab oder machen sich marschbereit. In der Bevölkerung
ist begreifliche Erregung, aber keine Angstpsychose bemerkbar. Mit dem
raschen Vordringen amerikanischer Panzer ist zu rechnen. Pegnitz, südlich
von Bayreuth, westlich von Weiden, soll noch nicht genommen sein. Ein
deutscher Kampfverband soll den Vorstoß auf Weiden abgefangen haben.
Am
16. April ist ein Munitionszug in Weiden, auf dem Gleis Richtung Bayreuth,
in der Nähe der Seltmannfabrik beschossen worden. Er gerät in Brand; es
gab starke Verluste an Menschenleben, etwa 50 Personen tot oder verletzt,
großen Materialmangel und Häuserschaden.
Am
17. April, vormittags, wird auf dem hiesigen Bahnhof ein Zug von Fliegern
beschossen. Die Maschine ist zerstört. Personen sind nicht zu Schaden
gekommen. Die Fliegertätigkeit nimmt, da die Front immer näher rückt,
von Tag zu Tag zu. Eine Beerdigungsfeierlichkeit auf dem Friedhof in
Waidhaus wurde durch Bordwaffenbeschuß gestört, ohne daß jedoch
Verluste entstanden.
Im
NSV-Heim
zu Waidhaus wurde heftige Klage wegen mangelhafter Verpflegung der Flüchtlinge
geführt. Lebensmittel sind dort knapp geworden, da keine Zufuhr von auswärts
mehr zu erwarten ist. Der Bürgermeister verspricht zu tun, was in seinen
Kräften steht. Es spitzt sich alles auf das Ende des Krieges zu.
Das
Konzentrationslager Flossenbürg wird von der SS verlassen. Was aus den
Insassen geworden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Erst später kommen
die furchtbaren Bluttaten der SS ans Tageslicht.
Eine
HJ-Abteilung
aus Mainfranken, etwa 60 Jungen in Begleitung von BDM ,
durchzog die Stadt - in regellosen Haufen. Nach kurzer Rast zogen sie
weiter. Sie hinterließen bei allen, die diese Jugend sahen - darunter
noch richtige Kinder - den denkbar schlechtesten Eindruck. Viele von den
Jungen trugen Gewehre und markierten den Werwolf.
In
der Porzellanfabrik Seltmann, Vohenstrauß, befand sich ein großes
Marinelager mit vielen Vorräten, darunter Eßwaren, Konserven,
Bekleidungsstücke, Decken, Zeltbahnen usw. Wer es öffnete, ist unbekannt
geblieben! Jedenfalls war der Ansturm auf dieses Lager sehr groß. Die
Hereinstürmenden nahmen, was ihnen in die Hände fiel und plünderten es
richtig aus. Nun schaltete sich die Polizei ein und verlangte von denen,
die Lagersachen gestohlen hatten, diese in einer befristeten Zeit zurück.
Die Sachen wurden den Geschäftsleuten überwiesen, die sie dann an die
Bevölkerung gegen Bezahlung abgeben konnten. Die gesunkene Moral sollte
so wieder gehoben werden.
Todesmärsche
durch Vohenstrauß
Der
18. April sah einen Durchzug von männlichen Insassen eines unbekannten
KZ-Lagers unter starker Bewachung von Soldaten. Die Rufe „Hunger“ und
„Brot“ waren aus den Reihen der Unglücklichen vernehmbar. Doch
niemand traute sich, helfend einzugreifen, aus Furcht vor Strafe und
Vergeltung. Viele sind wohl auf diesem Leidenswege an Entkräftung zu
Grunde gegangen und am Wegrande oder in den Wäldern verscharrt worden?
Wer weiß wo? Tagsüber fährt nun nur noch ein Zug von Weiden bis Lohma
hin und zurück.
Die
Post hat ihren Betrieb so gut wie eingestellt. Briefe gehen nicht ab und
kommen nicht an. Auch Geldüberweisungen werden nicht mehr angenommen. Wir
gehen langsam dem Ende entgegen.
Am
19. April vernimmt man von Westen her starkes Artilleriefeuer. Wo gekämpft
wird, ist nicht festzustellen. Von durchziehenden Soldaten werden Fahrräder
beschlagnahmt, zu eigenem Gebrauch, mit Anwendung eines gelinden Druckes.
Der Zugverkehr ist jetzt ganz eingestellt. Die Front ist nun nahe!
Goebbels läßt am 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, im Rundfunk
noch einmal seine Stimme durch den Äther schallen mit dem Aufruf,
„auszuhalten bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone.“ Siegen
oder untergehen ist seiner Weisheit letzter Schluß. Diese Rede findet
aber bei den Menschen der Gegenwart kein Echo mehr. Sie wirkt eher
entmutigend als beruhigend. Hitlers Geburtstag, sonst der Tag lärmender
Feiern, wird vergessen. Er und sein Geburtstag gingen im Strudel
aufregender Ereignisse unter, beide verloren für immer an Bedeutung.
Panzerspitzen
werden in Richtung Vohenstrauß gemeldet. Sonst blieb der Tag verhältnismäßig
ruhig. Bomberverbände greifen Weiden bei Tage an. Es werden Brände
beobachtet. Die Beunruhigung der Bevölkerung und das verwunderte Fragen
nach unserer Luftwaffe (ironisch) wächst von Stunde zu Stunde. Man befürchtet
jetzt auch für Vohenstrauß Feindbeschuß. An den Ausgängen der Stadt
werden Panzersperren angelegt, und zwar:
1.
Wernberger Straße (beim Garten von Winkler),
2.
Waidhauser Straße (Apotheke Bamler-Garten),
3.
Bahnhofstraße (Ledermühle).
Wegen
des starken Verkehrs sind sie noch offen.
Die
Nacht vom 20. zum 21. April ist außerordentlich unruhig. Auf der
Hauptstraße ist starker Verkehr. Fahrzeuge aller Art, Soldaten,
Zivilisten auf Rädern und zu Fuß ziehen durch die Stadt, nach Eslarn
oder nach Waidhaus. Danach tritt etwas Ruhe ein, nur noch Einzelgänger
und Versprengte sind zu beobachten. Ob Weiden schon besetzt ist, kann
nicht festgestellt werden. Die Verbindung dahin fehlt. Wohl aber sind
Kanonendonner und Granatfeuer vernehmbar. Man scheint sich doch noch auf
Abwehr und Verteidigung dort einzurichten; zudem sollen in Altenstadt
Flakgeschütze in Stellung gebracht worden sein.
Im
Walde und an den Rändern der Straße Vohenstrauß - Burgtreswitz liegen
eine Anzahl Toter aus den Gefangenenzügen der KZ-s. Gegen Abend hat man
sie aber in den Wäldern eingegraben. Wollte man ihre Spuren verwischen,
oder durchzog die Peiniger doch noch ein Anflug von Barmherzigkeit?
Der
22. April ist ein Sonntag. Wie immer riefen auch an diesem ersten Tag
einer neuanbrechenden Woche die Glocken beider Kirchen die Gläubigen zum
Gebet, und zur Andacht. In Predigt, Messe und Choralgesang vernahm man
Geschützdonner. Weiden wird von Norden, Osten und Westen angegriffen.
Volltreffer erhalten: das Warenhaus Witt, das RAW ,
die Sedanstraße und der Bahnhof samt seiner Umgebung. Überall flammen Brände
auf. Nun folgt ein kurzer, aber heftiger Kampf. Schon um 11 Uhr wurde das
Feuer von deutscher Seite eingestellt. Die Stadt Weiden kapitulierte und
zeigte weiße Fahnen. Die Amerikaner nahmen von der Stadt Besitz. Der Weg
nach Vohenstrauß war nun frei. Die Befürchtung, daß auch unsere Stadt
beschossen werden würde, beunruhigte die Gemüter sehr. SS-Offiziere
sollen sich dahin geäußert haben: „Warum soll Vohenstrauß verschont
bleiben, nachdem so viele andere Orte vernichtet worden sind?“ Die
Aussicht, das Schicksal „so vieler anderer Orte“ evtl. teilen zu müssen,
hing nach diesem „menschenfreundlichen“ Ausspruch von nun an als bange
Frage über den Menschen unserer Stadt.
Amerikanische
Truppen vor den Toren der Stadt
Kein
Wunder, daß nach dem Ausspruch der SS nun die verschiedensten Gerüchte
über die Annäherung der amerikanischen Truppen durch die Stadt liefen.
In solchen Situationen hat die Fantasie stets freien Lauf. Erhöht wird
die Unsicherheit noch dadurch, daß man ab und an Geschützdonner
vernimmt, daß motorisierte Kolonnen durch die Stadt rasen und immerwährendes
Kommen und Gehen straßauf, straßab zu beobachten ist. Bekannt geworden
ist, daß Altenstadt geräumt werden soll.
Die
Nacht vom 22. zum 23. April (Sonntag zu Montag) verlief ruhig, ohne Beschuß,
ohne Fliegertätigkeit. In den Morgenstunden des Montag rückt der
Arbeitsdienst ab - ganz junge Burschen. Später aber wurden sie wieder
aufgefangen, mit Panzerfäusten versehen und zum Einsatz bereit gestellt.
Jedoch - es sollte zu keinem Kampf mehr kommen, denn noch schneller
entwickelten sich alle weiteren Ereignisse, kampflos, dem Ende entgegen.
Waldthurn,
Roggenstein, Leuchtenberg sind in amerikanischer Hand. In Vohenstrauß
schlägt es vom Turm 11 bedächtige Glockenschläge - es ist 11 Uhr
vormittags. Noch gehen die Menschen ruhig ihrer Beschäftigung nach -
Vohenstrauß wird wohl vom Feuer umgangen. Die Uhrzeiger rücken weiter,
es wird ¾ auf 2 Uhr nachmittags, da - heftiger Beschuß der Stadt durch
Artillerie. Dann setzt das Feuer ebenso schnell wieder aus. In der näheren
Umgebung der Stadtausgänge werden Brände beobachtet. Ein Tiefflieger
kreist über der Stadt. Man hört das Knattern seines Maschinengewehrs.
Dann blieb es ruhig.
Inzwischen
hatte man an den Ausgängen der Stadt die Panzersperren geschlossen. Da
ereignete sich, daß beherzte hiesige Frauen sich daran machten, die
Panzersperren an der Ledermühle zu durchsägen und die Stämme in den
Bach zu werfen. Dies wurde General Schulz gemeldet. Er eilte herbei,
drohte mit Erschießen und erreichte tatsächlich, daß man der Gewalt
wich, nicht ohne, daß ihm von den Frauen zugerufen wurde: „Wir lassen
unsere Heimatstadt nicht zerstören!“ Von nun an wurde ein
Arbeitsdienstmann mit Gewehr als Posten an die Sperre kommandiert, um sie
vor weiteren Beschädigungen zu beschützen.
Und
noch etwas geschah, was dem Chronisten erwähnenswert erscheint. Das große
Materiallager in Grafenreuth wurde geöffnet und von der Zivilbevölkerung
restlos geplündert. Das war dem Lagerverwalter der Stadt Vohenstrauß,
Joh. Zielbauer und seinem Stellvertreter Andreas Richthammer ein Wink des
Himmels. Um zu verhüten, was in Grafenreuth unter den Augen der
Amerikaner geschah, ließen sie in Vohenstrauß die Müller in und um die
Stadt auffordern, "die bedeutenden Vorräte an Getreide, die im
Lagerhaus eingelagert waren, ab(zu)holen (gegen Quittung) und bei sich
aufzuheben". Die Vorräte konnten so besser vor Diebstahl in dieser
unruhigen Stadt geschützt werden, und bei etwaiger Beschießung der Stadt
waren sie vor Vernichtung durch Feuer relativ eher zu bewahren. Diese Tat
gereichte Stadt und Einwohnern zum Segen, und deshalb sei sie hier lobend
erwähnt. Denn nach dem Einmarsch der Amerikaner wurden diese Vorräte
nach und nach bei den einzelnen Mühlen wieder abgeholt. Dadurch kam die
Stadt in die glückliche Lage, einmal sich selbst mit den nötigsten
Nahrungsmitteln, dem Brotgetreide, zu versorgen - sie war ja von der Außenwelt,
da der Bahnverkehr ruhte, vollkommen abgeschnitten - und zum anderen
konnte sie später, als der Strom der Flüchtlinge einsetzte, diese auch
mit Brot versorgen. Wie manche Not konnte da durch die kluge, aufmerkende
und vorsorgliche Art und rechtzeitige Tat dieser Männer gelindert werden!
Artilleriebeschuß
als Vergeltung
Betrachten
wir die Ereignisse des Tages weiter. Nach den letzten Nachrichten schien
das ganze Kreisgebiet Vohenstrauß eingekesselt zu werden. Nur der Weg
nach Osten - Richtung Waidhaus - ist noch frei. Altenstadt liegt bereits
unter Beschuß. Brände werden schon beobachtet. Und nun, am Montag, dem
23. April, gegen ½ 10 Uhr abends erfährt Vohenstrauß einen starken
Feuerüberfall. Amerikanische Artillerie beschießt planmäßig die Stadt
mit Phosphorgranaten. Es dauert etwa eine ¼ Stunde und der Schaden ist
erheblich! Die Bewohner flüchten in die Keller. Einen Volltreffer erhielt
das Haus Prager Gasse 179, bewohnt von Joseph Leopold. Das Haus wird
unbewohnbar. Das Haus des ehemaligen Bürgermeisters Ries, am Marktplatz
Nr.101, wurde ebenfalls schwer getroffen. Bald nach dem Feuerüberfall
brach, hervorgerufen durch den Einschlag einer Brandgranate, im 1. Stock
des Hauses Pfarrgasse Nr. 68, Inhaber Metzgermeister Krapfenbauer, Feuer
aus. Die Bewohner hatten Zuflucht in den Kellern der Nachbarschaft
gefunden. Es war niemand im Hause Nr. 68 und so wurde der Brand erst spät
entdeckt. Trotz einsetzender Brandbekämpfung durch die freiwillige
Feuerwehr brannte der ganze 1. Stock aus. Zum Glück bei allem Unglück
trat regnerische Witterung ein, es war naß und kalt und auch nicht
windig, und Vohenstrauß blieb von einer Wiederholung seiner früheren großen
Brände unseligen Angedenkens verschont.
Weitere
Granateinschläge und Splitterschäden sind noch an weiteren Häusern zu
verzeichnen und werden noch manche Zeit von jener Schreckensnacht zeugen,
die die Menschen in den Kellern auch nicht so schnell aus ihrem Gedächtnis
verlieren werden.
Todesopfer
waren auch gefordert worden, gottlob aber nur wenige.
Frau
Margarete Schönberger, geb.Mayer, die Ehefrau des Korbmachers J. Schönberger,
wohnhaft im Hinterhaus der Gastwirtschaft „Schwan“ (Marktplatz Nr. 72)
wurde durch Granatsplitter verletzt. Die Granate traf die Rückwand des
Rathauses, krepierte dort und schleuderte die Splitter durch die Fenster
in die Wohnung des Schönberger. Ein Splitter riß der Frau die drei
Mittelfinger der linken Hand ab. Die Verletzte konnte sich mit ihrem Manne
ins hiesige Krankenhaus begeben und wurde von Herrn Dr. Bamler dort
verbunden. Sie ist nach 5 Wochen an Blutvergiftung hier gestorben. Ihre 4
Kinder wie auch ihr Mann, der neben ihr saß, sind mit dem Schrecken
davongekommen. Die Frau war 43 Jahre alt. Sie hat ihre Ruhestätte auf dem
hiesigen Friedhof gefunden.
Ferner
wurde die unverehelichte Anna Ebnet von hier, die bei ihrem Schwager, dem
Eisenbahner Joh. Hoch in der Liedlpaint Nr. 301 wohnhaft war, durch den
Luftdruck einer neben ihr einschlagenden Granate getötet. Sie ist, trotz
Warnung ihres Schwagers, auf die Straße (vor der Hölzl-Fabrik) gegangen.
Dort ereilte sie der Tod. Äußere Verletzungen waren an ihr nicht
festzustellen. Herr Landwirt J. Wurdack (Lange Gasse 194), der die
Verletzte fand, brachte sie nach der Beschießung in sein Haus. Er konnte
nur den Tod feststellen.
Als
am Montag, dem 23.4.1945 gegen ½ 10 Uhr abends, ganz unvermutet die
Beschießung der Stadt begann, eilte alles in die Keller. Das elektrische
Licht versagte und es war stockfinster. Frau Maria Sellschopp, Mutter von
Frau Major Baierlein, wohnte mit ihrer Tochter im Gasthaus zum
„Schwarzen Raben“ (Janner), Marktplatz Nr.169. Sie verfehlte beim
Hinabsteigen in den Keller die Stufen, stürzte hinunter und zog sich
einen Schädelbruch zu. Sie ist an den Folgen dieses Sturzes bald
gestorben und auch auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt worden.
Am
Montag, dem 23.4.1945, war diesiges Wetter, das nach dem Abend zu in einen
leichten Sprühregen überging. Allmählich senkte sich die Nacht über
das stille Städtchen. Der plötzlich einsetzende Feuerüberfall um ½ 10
Uhr abends hat die Bewohner aus ihrem Schlaf geschreckt und sie in die schützenden
Keller flüchten lassen. Dort harrten sie voller Angst der Dinge, die da
kommen sollten. Die meisten von ihnen sind diese Nacht wohl nicht aus den
Kleidern gekommen.
Herr
Kunstmaler Steininger, wie auch Herr Pfarrer Hopf und andere schnell
herbeigeeilte Personen, beteiligten sich bei der Bergung von Sachen aus
dem brennenden Hause des Metzgermeisters Krapfenbauer und bei der Brandbekämpfung
des Hauses Pfarrgasse Nr. 41, bewohnt von Familie Brusch und Steininger.
In das Haus war eine Phosphorgranate eingeschlagen. Sie konnte aber durch
rechtzeitiges Eingreifen bald gelöscht werden, ohne daß sie größeres
Unheil anrichtete. Es war für viele eine Nacht voller Schrecken. man wußte
ja nicht, wann ein neuer Feuerüberfall zu erwarten war. Die Beschießung
hat etwa eine ¼ Stunde gedauert, dann schwieg das Feuer. Es war die
Vergeltung für einen am Montag gegen ½ 5 Uhr nachmittags bei der
Seltmann-Fabrik erschossenen amerikanischen Feldwebel.
Was
war geschehen?
Ein
amerikanischer Panzerspähwagen kam am Montag Nachmittag ½ 5 Uhr von
Altenstadt und fuhr auf der Straße nach Vohenstrauß. Am Wäldchen der
Seltmann-Fabrik hielt er. Ihm entstieg ein amerikanischer Feldwebel, um
sich zu orientieren. Dieser wurde von einem Arbeitsdienstmann, der sich
dort versteckt hielt, durch Kopfschuß getötet. Das geschah am Montag,
dem 23. April 1945, nachmittags gegen ½ 5 Uhr. Man ließ
amerikanischerseits den Mann, der bald tot war, auf der Straße liegen,
drehte ab und fuhr in schnellstem Tempo nach Waldau zurück, wo die
amerikanische Batterie auf dem Rehbühl stand.
Ganz
in der Nähe des Tatortes steht das Gasthaus des Herrn Metzgermeisters H.
Söllner. Herr Söllner hat, nachdem der Schuß gefallen war, sein Haus
verlassen und nach der Ursache geforscht. Da kam ihm schon der junge
Arbeitsdienstmann entgegen. Zur Rede gestellt, gab dieser zu, auf Befehl
seines Vorgesetzten so gehandelt zu haben. Als ihm Herr Söllner
Vorhaltungen wegen der nun einsetzenden Vergeltungsmaßnahmen machte,
meinte der junge Mann ganz gleichgültig, er hätte nur seine Pflicht erfüllt.
Der Bursche begab sich darauf wieder auf seinen Posten an der Straße.
Inzwischen hatte die Tochter des Herrn Söllner zu einem Fenster nach der
Straßenseite eine weiße Fahne herausgesteckt. Auf dieses Fenster gab der
Arbeitsdienstmann nun zwei Schüsse ab. Herr Söllner zog die Fahne wieder
ein. Als er sich aber nach dem Schützen umsah, war und blieb dieser
verschwunden.
Bereits
um 5 Uhr nachmittags setzte die Vergeltung ein, und Altenstadt mußte den
ersten Feuerüberfall, der sehr viel Schaden anrichtete, über sich
ergehen lassen.
Bei
diesem Feuer ist Herr K. Dobmeier gefallen (geb.21.8.1900 - gef.
23.4.1945, beigesetzt auf dem Friedhof in Altenstadt).
Am
späten Abend und in der Nacht sind amerikanische Stoßtrupps wieder bis
zur Seltmann-Fabrik vorgedrungen. Wie Herr Söllner berichtet, drangen
drei amerikanische Soldaten nachts gegen ½ 12 Uhr in sein Haus, mit
vorgehaltenen Gewehren, ein. Herr Söllner stellte sich ihnen entgegen.
Ein deutsch sprechender Amerikaner schrie ihn an:
„Ist
aus dem Haus geschossen worden?“ (Nein).
„Ist
das Haus besetzt?“ (Nein)
„Sind
Waffen in dem Haus?“ (Nein)
„Wo
sind die anderen Leute?“ (Keller)
„Wie
alt bist du?“ (68 Jahre)
Dann
durchsuchten sie das ganze Haus und Herr Söllner zeigte den Soldaten noch
das Fenster, in das geschossen worden war. Etwas ruhiger geworden
verlangten sie nun ein Bettlaken, um ihren toten Kameraden darin einzuhüllen.
Dann verließen sie das Haus, ihren Kameraden ließen sie auf der Straße
liegen.
In
Altenstadt hielten sich am Montag, dem 23. April, noch einige SS-Leute
auf. Sie verschwanden aber, als gegen 4 Uhr nachmittags amerikanische
Panzer, von Waldau kommend, Altenstadt besetzten. Das Dorf zeigte weiße
Fahnen. Gegen ½ 5 Uhr wurde beim Panzervorstoß auf Vohenstrauß, in der
Nähe der Seltmann-Fabrik, der schon oben erwähnte amerikanische
Feldwebel erschossen. Darauf erhielt das Dorf, als der Panzerspähwagen
nach Waldau zur Batterie zurückkehrte, starkes Feuer. Das war bereits der
Anfang der Vergeltung. Die Bewohner flüchteten in die Keller. Bei diesem
Beschuß fand der auch schon oben erwähnte Karl Dobmeier als einziger den
Tod. Er hatte mit seiner Familie und anderen Leuten in einem nahe an
seinem Hause gelegenen Wiesenkeller Schutz gesucht. Splitter einer in der
Nähe einschlagenden Granate töteten ihn. Es war gegen 5 Uhr nachmittags.
Jetzt
rückten die SS-Mannschaften, die sich versteckt gehalten hatten, wieder
ins Dorf und zwangen die Bewohner, die weißen Fahnen wieder einzuziehen.
Montag Nacht haben die SS-Leute endlich das Dorf verlassen. Sie
verschwanden in den nahen Wäldern. Das Dorf aber atmete befreit auf.
In
dieser Nacht drangen Schleichpatroullien der Amerikaner wieder in das Dorf
ein. Sie sind von dem Bauerngutsbesitzer und früheren Bürgermeister,
Herrn Sebastian Kick, von einem Kellerfenster aus beobachtet worden. Drei
amerikanische Soldaten sind auch bis an das Gasthaus des Metzgermeisters
H.Söllner, nachts gegen ½ 12 Uhr, vorgedrungen. Ihr toter Kamerad lag
noch in Bettlaken gehüllt, da.
Für
die militärische Lage und Haltung der Stadt Vohenstrauß war der damalige
Kommandant, General Schulz, der sich im Rathaus aufhielt und dort wohnte,
verantwortlich; für die Sicherheit und das Wohl und Wehe der Bürger aber
der stellvertretende Bürgermeister der Stadt: Herr Albert Sommer.
Mutige
Frauen und Männer
Herr
A. Sommer begab sich in der Nacht gegen 1 Uhr in das Rathaus zum Herrn
General. Er bat ihn, die Stadt zu schonen und kampflos zu übergeben.
Schulz aber gab ausweichende Antworten und berief sich auf seinen Befehl,
die Stadt als Stützpunkt zu halten und zu verteidigen. Da ihm aber nur
wenige Soldaten zur Verfügung standen, hätte er die Nutzlosigkeit eines
Kampfes wohl einsehen müssen. Auch drangen einige beherzte Frauen bis zum
General vor und baten ihn, doch abzuziehen, um Vohenstrauß vor der
Beschießung zu retten. Er ließ sich zuerst nicht sprechen, dann erschien
er zwar, aber ihre Mission verlief erfolglos. Schließlich versuchte Herr
Steininger gegen nachts ½ 3 Uhr den General zu sprechen. Es gelang ihm
auch. Nachdem der Adjutant sich von einer höheren Stelle telefonische
Anweisung geholt hatte, konnte der General dem Herrn Steininger mitteilen,
er würde noch heute die Stadt verlassen. So geschah es dann auch. Die
Gefahr der Verteidigung von Vohenstrauß und eine nochmalige Beschießung
war abgewendet worden. Gegen 3 Uhr nachts bereits verließ der General,
nachdem der Rest der Truppen abgerückt war, mit seinem Stabe die Stadt.
Zwischendurch
erschien ein Unteroffizier mit 20 Mann und verlangte vom Bürgermeister
Unterkunft und Verpflegung. Herr Sommer verschaffte ihnen Verpflegung und
veranlaßte sie, bald nach Osten zu marschieren, da in dieser Richtung der
Weg frei sei. Nun hieß es, die Amerikaner zu verständigen, daß die
Stadt kapitulieren und sich kampflos übergeben wolle.
Die
Besetzung der Stadt durch amerikanische Truppen
Der
24. April 1945, ein Dienstag, war der Tag der Besetzung der Stadt
Vohenstrauß durch die amerikanischen Truppen!
Um
den Willen der Übergabe kund zu tun, müssen zunächst weiße Fahnen
gezeigt werden. Herr Sommer und Herr Steininger begaben sich daher am
24.4.45 gegen 4 Uhr morgens zu den beiden Geistlichen, Herrn Pfarrer
Ludwig Hopf und Herrn Stadtpfarrer Sebastian Riedl, um zu veranlassen, daß
auf beiden Kirchtürmen weiße Fahnen gehißt werden. Das geschah auch
bald.
Nach
und nach zeigten sich die Bürger auf der Straße. Von Mund zu Mund wurde
bekannt gemacht, daß alle Häuser weiß zu flaggen hätten. Die
Panzersperren hatte man gegen Morgen auch beseitigt und der Weg in die
Stadt Vohenstrauß war frei.
Herr
Kunstmaler Steininger hatte es übernommen, mit den Amerikanern zu
verhandeln und die Stadt im Auftrage des Bürgermeisters zu übergeben.
Anmerkung:
Der Bürgermeister selber hatte noch genug zu tun, um die Bewohner
zu beruhigen und um Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, d.h. sich zu
vergewissern, daß kein Militär mehr in der Stadt war und daß kein
Einwohner auf den Gedanken käme, auf die einrükkenden Amerikaner zu
schießen. In solch kritischer Zeit muß an alle Möglichkeiten gedacht
werden. Ruhe und Disziplin muß gewahrt und jedes selbständige Handeln,
aus Unüberlegtheit, muß vermieden werden.
Herr
Steininger begab sich nun also am Dienstag, dem 24. April 1945, gegen ½ 6
Uhr morgens auf den Weg nach Altenstadt zur Übergabe der Stadt. Auf dem
Wege dorthin traf er, noch in der Stadt, Herrn August Weidner jun. (Sohn
des Uhrmachermeisters Wilhelm Weidner von hier, Marktplatz 99). Als dieser
erfuhr, daß Herr Steininger den Amerikanern entgegen gehen wolle, bat er,
sich ihm anschließen zu dürfen. So ging man hintenherum nach der
Seltmann-Fabrik, also nicht auf der Chaussee. Als sie dort niemanden
sahen, gingen sie wieder zurück.
Zweiter
Vergeltungsbeschuß mit Todesopfer
Nun
kam ganz plötzlich und unerwartet für die Stadt, die weiße Fahnen gehißt
hatte, am Dienstag gegen ½ 9 Uhr früh ein zweiter Vergeltungsbeschuß
mit Artillerie und Maschinengewehrfeuer. Auch Altenstadt erlebte ihn unter
großen Schäden. Er dauerte allerdings nur 5 Minuten - aber das
Todesopfer war der 12 ½ jährige Knabe H. Engel aus Hamburg.
Anmerkung:
Bei diesem Feuerüberfall schlug eine Granate ganz in der Nähe des
Hauses Nr. 333 in Vohenstrauß. Es ist ein Behelfsheim und liegt etwas außerhalb
der Stadt und wird von zwei Familien bewohnt. Frau Anneliese Engel aus
Hamburg wohnte hier mit ihren vier Kindern, 2 Knaben
(12 ½ und 10 Jahre) und zwei Mädchen (8 und 6 Jahre). (Sie war)
in der Nacht von Montag zu Dienstag in den Keller des Hauses 332, bewohnt
von der Familie Messer, zur Sicherheit gegangen. Da der Dienstag Morgen
ruhig war und man von diesem Hause aus beobachten konnte, wie Bewohner von
Vohenstrauß, die sich in der Nacht in Gehöften, Mühlen oder im Walde
aufgehalten hatten, wieder mit ihren kleinen Wagen zurückkehrten, nahm
auch Frau Engel an, daß die Gefahr vorüber sei, zumal es nur wenige
Schritte bis zu ihrer Wohnung waren.
Neben
sich ihren großen Sohn und dann kamen ihre anderen 3 Kinder hinterher.
Sie hatte die Tür ihres Hauses noch nicht ganz erreicht, als eine
Panzergranate dicht neben ihr einschlug und krepierte. Es war gerade ½ 9
Uhr morgens. Die Granatsplitter verletzten Mutter und Sohn schwer. Dem 12jährigen
wurde die rechte Hand abgerissen, der linke Oberschenkel verletzt und noch
durch Bauchschuß schwer verwundet. Noch vier Stunden lebte der arme
Junge, dann starb er im hiesigen Krankenhaus. Auf dem hiesigen Friedhof
ist er beigesetzt worden. (Die Inschrift seines Denksteines lautet:
"Hier ruht unser Liebling Hermann Engel, geb. 7.10.1932 in Hamburg -
gefallen 24.4.1945. Bei der Einnahme von Vohenstrauß wurde er schwer
verwundet und mußte sein junges Leben lassen")
Frau
Engel erhielt einen Granatsplitter in den rechten Oberschenkel. Sie hatte
noch die Geistesgegenwart, sich das Bein abzuschnüren, sonst wäre sie
verblutet. Ihre Nachbarin, Frau Emma Voigt, lief in die Stadt, um Hilfe zu
holen und zwar ins Rathaus. Dort traf sie Männer, die sich inzwischen
bereits auf Befehl des amerikanischen Kommandanten melden mußten. Herr
Dr. Schneider und Herr Dentist Jansen, beide aus Ohlau/Schlesien, brachten
erste Hilfe. Man schaffte beide Verletzte nacheinander auf einer Trage ins
hiesige Krankenhaus, wo ihnen weitere ärztliche Hilfe zuteil wurde. Als
die Amerikaner von diesen Opfern erfuhren, brachten sie Frau Engel sofort
im amerikanischen Sanitätsauto nach Weiden. Dort wurde sie bald von Herrn
Dr. Stark operiert. Ihr wurde das rechte Bein über dem Knie amputiert. Im
übrigen haben sich die amerikanischen Ärzte der Verwundeten sehr
angenommen.
Die
anderen drei Kinder blieben wunderbarerweise unverletzt und kamen mit
einem gewaltigen Schrecken davon, der sie wohl durch ihr ganzes Leben
begleiten wird. Der Vater der Kinder war in belgischer Gefangenschaft, er
kehrte am 2. September 1945 zurück.
Wie
geschah nun die Übergabe der Stadt?
Nach
dem kurzen Feuerüberfall am Dienstag Morgen gingen Herr Steininger und
Herr Weidner jun. den anrückenden Amerikanern nunmehr auf der Chaussee
nach Altenstadt entgegen, um die Stadt endgültig zu übergeben.
Sie
trafen die Panzer in der Nähe der Seltmann-Fabrik - dort wo noch der tote
Amerikaner lag. Der erste Panzer hält. Der amerikanische Offizier fragte
durch den Dolmetscher, ob sie die Parlamentäre wären. Nun geschahen
darauf folgende Fragen:
„In
welchem Auftrage kommen Sie?“ (Des Bürgermeisters)
„Ist
Vohenstrauß besetzt?“ (Nein)
„Seit
wann ist die Stadt frei?“ (3 Uhr nachts)
„Sind
noch bewaffnete Reste von Truppen im Ort?“ (Das glaube ich nicht)
„Wer
war der deutsche General oder Kommandant?“ (Weiß ich nicht!)
„Wieviel
Truppen lagen hier?“ (Ist mir nicht bekannt)
„Wohin
geschah der Abzug?“ (mit der Hand in die Gegend weisend: dorthin).
Beide
Männer mußten sich jetzt auf den ersten Panzer setzen. Ihnen wurde vom
mitfahrenden Dolmetscher eröffnet, daß ihr letztes Stündlein geschlagen
hätte, falls aus einem Hause geschossen würde. Der Gedanke an die Möglichkeit
etwaigen Widerstandes durch sogen. Werwolf-Anhänger hatte wahrhaftig
wenig Bestechendes an sich - Gott sei Dank, es geschah nichts. Die Panzer
rollten nun in die Stadt. Den Bewohnern war vorher verkündigt worden, in
die Keller zu gehen und sich dort aufzuhalten, bis die Übergabe erfolgt
sei. Nun gaben die einfahrenden Panzer Streufeuer auf die Häuser, dessen
Spuren noch manche Zeit bleiben. Hinterher kamen Spähtrupps.
So
nahmen die Amerikaner Besitz von der Stadt. Alles weitere entwickelte sich
nun sehr rasch. Auf der Straße gegenüber dem Kriegerdenkmal fand
zwischen dem amerikanischen Offizier und Bürgermeister Sommer unter
Assistenz des Dolmetschers eine kurze Unterhaltung statt.
Darauf
erfolgte die offizielle Übergabe der Stadt Vohenstrauß an
die amerikanische Militärregierung (Mil.Governm.). Die Herren Offiziere
begaben sich ins Rathaus und nahmen davon, als der nunmehrigen Behörde,
Besitz. Bald weht aus dem Fenster des Rathauses der Stadt die
amerikanische Flagge.
Panzer
hielten auf dem Marktplatz. Es wird nun mündlich bekannt gegeben, daß
sich alle männlichen Personen von 15 - 50 Jahren (militärpflichtig)
sofort im Rathaus zu melden hätten, um sich registrieren zu lassen.
Waffen sind mitzubringen. Hier ist eine scharfe Kontrolle aller Militärpflichtigen.
Ein Teil wird (noch am gleichen Tage durch) als Gefangene dabehalten. Ihr
Abtransport geschah noch am gleichen Tage durch Lkws.
Allmählich
wird es in der Stadt wieder lebendig. Die meisten Bürger aber hielten
sich, mehr denn je, in den Häusern auf. Es wird weiter bekanntgegeben, daß
die Ausgehzeit bis auf weiteres eingeschränkt sei: Vorm. 3 - 10 Uhr,
nachm. 4 - 6 Uhr.
Übertretungen
ziehen Gefängnisstrafen nach sich. Patrouillen, mit Gewehr und Stahlhelm,
durchstreifen die Stadt.
Anmerkung:
Vohenstrauß und Altenstadt sind vor völliger Vernichtung dadurch bewahrt
worden, daß die Übergabe beider Orte rechtzeitig erfolgte und daß die
Frauen von Waldau den leitenden amerikanischen 1.Offizier der Batterie
baten, mit dem Feuerbefehl zu warten. Hier, in Waldau, standen auf dem
Rehbühl 9 Langrohrgeschütze. Sie hätten in ganz kurzer Zeit beide Orte,
Vohenstrauß und Altenstadt, in einen Trümmerhaufen verwandelt und
unsagbares Leid über beide Gemeinden bringen können. [...]
Marktplatz
mit Friedrichstraße, nach Süden, hier wurde die Stadt durch den
amtierenden Bürgermeister Albert Sommer übergeben (Privatarchiv Hans
Frischholz)
Am
Dienstag, dem 24. April 1945, durchlief die Stadt Vohenstrauß das Gerücht,
daß in der kommenden Nacht, von Dienstag zu Mittwoch, von deutscher Seite
ein Großangriff durch Artillerie geplant sei. Man kann sich vorstellen,
welche Gefühle und Empfindungen das bei den Bewohnern auslöste. Sollte
man noch mehr erleben müssen? Man war auf eine unruhige Nacht gefaßt.
Viele verbrachten sie im Keller oder wenigsten, in Kleidern, wachend in
ihren Wohnungen, um für Unvorhergesehenes gerüstet zu sein. Aber die
Nacht blieb ruhig und es erwies sich alles nur als Gerücht. In dieser
aufgeregten Zeit hat oft die Phantasie die ärgsten Blüten getrieben!
Die
amerikanische Besatzungsmacht
Am
25. April machten die neuen Herrn zum erstenmal Gebrauch von ihrer Macht.
Auf
ihren Befehl mußten in kürzester Zeit ganze Häuserreihen für die
Besatzungsmacht frei gemacht werden. So die Seite vom Rathaus bis zum
Bahnhof. Alles mußte stehen und liegen gelassen werden, und nur das
Notwendigste durfte mitgenommen werden.
Die
Liedlpaint (Flurname eines Teiles der Stadt, östlich, außerhalb des
Stadtinnern) mußte völlig geräumt werden zur Aufnahme russischer
Kriegsgefangener. Sie mußten von der Stadt verpflegt werden.
Es
erfolgte nun ein ununterbrochener Durchzug von amerikanischen Panzern und
motorisierten Einheiten durch die Stadt.
Ihr
Verhalten zur Bevölkerung gab zu wenig Klagen Anlaß. Besonders herzlich
gestaltete sich das Verhalten der amerikanischen Soldaten zu den deutschen
Kindern. Sie waren richtige Kinderfreunde. Bald hatten es die Kinder
heraus, was auf englisch heißt: „Bitte gib mir ein Stückchen
Schokolade!“ Gutmütig erfüllten sie die Bitte der Kinder.
Der
Kommandant machte bekannt, daß Plünderungen durch umherstreifende
ehemalige russische Kriegsgefangene, die vorgekommen waren, nicht
geduldet, sondern streng bestraft würden. Viele Fälle wurden so geahndet
und wirkten abschreckend.
Der
Bevölkerung ist dadurch eine große Sorge vom Herzen genommen worden und
diese Anordnung wurde von ihr herzlich und dankbar begrüßt.
Durch
Anschlag wurde zur Waffenabgabe (auch alle unbrauchbare Gewehre und
Luftgewehre fielen darunter) aufgefordert und im Weigerungsfalle mit
Strafen gedroht. Es wird auch noch einmal an das Verbot, andere
Ortschaften aufzusuchen, erinnert.
Nun
wurde unter Vorsitz des Kommandanten eine neue Stadtbehörde eingesetzt.
Zum
1. Bürgermeister wurde Baumeister Franz Xaver Wittmann, zum 2.Bürgermeister
Forstmeister Ferdinand Wolf, von hier bestellt.
Der
katholische Kooperator Andreas Wendl, wird als örtlicher Dolmetscher
eingesetzt.
Am
Abend des 25. April überflog ein deutscher Flieger die Stadt. Er warf
eine Bombe, die aber wenigen Schaden anrichtete - und verschwand.
Die
Beschießung der Stadt hatte doch sehr erheblichen Schaden an den Gebäuden
angerichtet. Besonders waren viele Fenster zertrümmert worden. Die Kälte
in den Nächten machte sich noch recht unangenehm bemerkbar. Überall
wurde, so gut es ging, ausgebessert und, sofern Glas vorhanden, die
Fenster wieder verglast. Es gab kein elektrisches Licht, man half sich mit
Kerzen und Petroleum. Glücklicherweise war die Wasserleitung unversehrt
geblieben, ein großer Segen für die Stadt.
Die
Post, die einen Volltreffer erhalten hatte, war geschlossen. Alle Geschäfte
und Besorgungen müssen in den vorgeschriebenen Ausgehzeiten erledigt
werden. Die Stadt ist von der Außenwelt fast vollkommen abgeschnitten. Es
gibt keine Postsachen, kein Radio, keine Fernsprechmöglichkeit. Überall
sind amerikanische Drahtleitungen durch die Stadt, nach der Front, gelegt.
Der
29. April war ein Sonntag. Die Gläubigen beider Kirchen vereinigten sich
im Gebet zu Gott, dankbar für gnädige Behütung und Bewahrung in großer
Not. Gegen Ende des Gottesdienstes betrat ein amerikanischer Soldat die
evangelische Kirche. Er verweilte hier in stiller Andacht. Danach machte
er Aufnahmen vom Innern des Gotteshauses und von der anwesenden Gemeinde.
Große
Anschläge an den öffentlichen Tafeln geben Auskunft über das Verhalten
der Bevölkerung, auch zur amerikanischen Truppe.
Gegenüber
der Seltmann-Fabrik wird durch Zivilarbeiter und Gefangene eine Wiese zum
provisorischen Flugplatz hergerichtet. Das Betreten desselben war
verboten. Dort standen 4 Aufklärer.
Ab
Montag, dem 30. April, wird die Ausgehzeit auf 7 - 19 Uhr verlängert. Die
Landwirte begrüßten dies besonders. Die zurückgebliebene Frühjahrsarbeit
konnte beginnen.
Die
Dörfer Böhmischbruck, Waldau, Oberlind und Braunetsrieth hatten keine
Ausgehbeschränkung. Dort waren keine Panzersperren errichtet worden und
auf das amerikanische Militär ist dort auch nicht geschossen worden.
Der
1. Mai, früher „Nationalfeiertag“, wird nicht mehr beachtet und geht
sang- und klanglos vorüber. Langsam setzt das Geschäftsleben wieder ein,
Beamte und Angestellte kehren in ihre Ämter zurück, Arbeiter suchen
wieder ihre Arbeitsstätte auf. Vohenstrauß ist zur Etappe geworden. In
dem Raume Eger-Tachau-Pilsen-Regensburg wird noch gekämpft.
Auf
den Anschlagtafeln in Vohenstrauß vor dem Rathaus werden Anordnungen über
Anmeldung von Radioapparaten und Fernsprechern, sowie Postbestimmungen
angeheftet. Alle Sendungen sind unter Zensur. Vermögen und Geldbeträge
der Partei und ihrer Gliederungen werden beschlagnahmt.
In
Vohenstrauß sind Anfang Mai nur noch wenige amerikanische Soldaten, und
die beschlagnahmten Häuser können wieder bezogen werden.
Umherziehende
Russen werden zur Landplage und auf den Straßen herrscht noch immer große
Unsicherheit. Oft werden die Bürger noch durch Truppentransporte, die
ihren Weg durch die Stadt nehmen, aus ihrer neu gewonnenen Ruhe
aufgeschreckt; zumal es dabei auch vorkommt, daß plötzlich wieder vorübergehend
einige Häuser beschlagnahmt werden.
Das
Wetter in diesen Maitagen ist kühl und unfreundlich, teilweise auch
regnerisch.
Die
Verdunkelung wird noch streng durchgeführt, auf beleuchtete Fenster wird,
auf Anordnung des Kommandanten, von Patrouillen geschossen.
Am
2. Mai sind die Russen in Berlin einmarschiert, die „Führer“ des
Volkes, Hitler und Goebbels haben sich teils durch Erschießen, teils
durch Gift, der irdischen Verantwortung entzogen. Eva Der deutsche Soldat
aber ist dem Chaos allein überlassen worden. Da ordnet
Generalfeldmarschall Kesselring ab 6. Mai (Sonntag) wenigstens für die
ganze deutsche Westarmee Waffenruhe an.
In
Vohenstrauß ist am Sonntag, dem 6. Mai um ½ 2 Uhr nachmittags der erste
amerikanische Gottesdienst in der hiesigen evangelischen Kirche. Es nehmen
etwa 80 Mann, Offiziere, Ärzte, Mannschaften - mit Gewehr und Stahlhelm -
daran teil.
Am
7. Mai durchfahren eine größere Anzahl Lkws mit deutschen
Kriegsgefangenen die Stadt.
Der
Zugverkehr mit Weiden ist noch nicht wieder aufgenommen, da die Naabbrücke
gesprengt ist.
Eine
kleine Kuriosität sei am Rande vermerkt: die früher oft nachgeahmten
Hitler-Schnurrbärte sollen ab sofort verschwinden!
Kapitulation
Am
8. Mai wird durch Rundfunk bekanntgegeben, daß am Tage zuvor, am 7. Mai
1945, 2 Uhr 40 Min. der Waffenstillstand zwischen den Alliierten und
Deutschland in Reims unterzeichnet wurde. Deutschland hat bedingungslos
kapituliert.
Der
Waffenstillstand tritt in Kraft: Mittwoch, den 9. Mai, 0 Uhr 0 Min.
-
Gott sei unserem deutschen Volke gnädig! -
Heute,
am 9. Mai, herrscht bei den amerikanischen Soldaten frohe Siegesstimmung.
Siegesfeiern werden veranstaltet, dazu werden Truppen aus der Umgebung in
der Stadt zusammengezogen. Mit Musik geht es durch die Stadt auf ein Feld
gegenüber der Seltmann-Fabrik, wo eine Parade abgehalten wird. Um ½ 11
Uhr ist für die evangelischen, um ½ 2 Uhr für die katholischen Soldaten
je ein Dankgottesdienst in beiden Kirchen der Stadt angesetzt.
Das
Himmelfahrtsfest mußte seit 1940 auf den nächst darauffolgenden Sonntag
gefeiert werden, in diesem Jahre konnte es zum ersten Mal wieder
kalendergemäß, am Donnerstag, dem 10. Mai, feierlich begangen werden.
Die
Ausgehzeit wird wieder bis ½ 9 Uhr abends verlängert, eine vorübergehende
Einschränkung war infolge Ausgehüberschreitung durch einige Einwohner
strafweise bis nur ½ 8 Uhr nötig geworden. Auch russische
Kriegsgefangene, die hier frei umhergingen, traf eine Ausgeh-Verkürzung.
Sie hatten drei amerikanische Offiziere auf der Straße belästigt,
deshalb erhielten sie zur Besorgung ihrer Mahlzeit nur eine einzige Stunde
Ausgang pro Tag. Überhaupt wird gegen russische Plünderer drakonisch
vorgegangen. Diese suchten für ihre Raubzüge vornehmlich einsam gelegene
Gehöfte auf und schreckten vor Gewalttaten keineswegs zurück.
Eine
Serie Gerüchte durchläuft wieder einmal die Stadt: Himmler, der frühere
Reichsführer der SS, habe Befehl gegeben, zum Schluß noch alle Insassen
der Konzentrationslager zu ermorden. Man habe den früheren Reichsbankpräsidenten
Schacht und Pastor Niemöller in einem KZ-Lager gefunden und befreit. Der
frühere Reichsmarschall Hermann Göring sei durch SS noch gefangen
genommen worden. Hitler hätte ihn noch im April zum Tode verurteilt. Gerüchte,
Sensationslust, Sensationsmache - aber am 11. Mai wurde endlich die
Verdunkelung aufgehoben. Wie lange mag die Verdunkelung der Herzen noch
bleiben?
Mai
1945 - Flüchtlinge, Heimatlose und Vertriebene
Am
12. Mai durchzieht ein endloser Zug von Flüchtlingswagen, sogenannte
Trecks, die Stadt. Sie wollen heim gen Norden, um bei Hof die Grenze zu überschreiten.
Da
nun das evangelische Altersheim wieder frei geworden ist, konnte der
Kindergarten, mit Schwester Luise Albert als Leiterin wieder eröffnet
werden. Die Leitung des Altersheimes hat Schwester Barbara Sperr.
Die
Knaben aus der KLV (Kinderlandverschickung) Lager „Stadt Hamburg“,
werden durch große Omnibusse aus dem Altersheim abgeholt. Zwei
Professoren und ca. 10 Knaben begeben sich zu Fuß auf den langen Weg nach
der Hansestadt.
Am
12. Mai passiert abermals ein „endloser Zug“ von Flüchtlingen aus dem
Osten, die als Evakuierte von den Tschechen ausgewiesen wurden, die Stadt.
Das
wenige, was man ihnen gelassen hat, tragen sie in den Händen oder führen
es auf kleinen Wagen, manchmal sogar nur Handwagen mit sich. Besonders groß
ist das Kinderelend.
[...]
Es werden Säle frei gemacht, und auch die hiesige Turnhalle wird für Übernachtungen
hergerichtet. Das „Bayerische Rote Kreuz“ unter Sanitätsrat Dr.
Hofmann hat sich auch hier helfend eingeschaltet. Im Gasthaus „Wilder
Mann“ und in der Turnhalle sind Küchen eingerichtet. Sie geben an die
Flüchtlinge Brot und eine warme Suppe gerne gratis ab. Wie dankbar wird
doch ihre Tätigkeit empfunden.
Die
Privatwohnungen sind nun meistens wieder frei von Einquartierungen.
Am
16. Mai darf keiner ohne Erlaubnis der Kommandantur die Stadt verlassen -
in Eslarn, Waidhaus und Pleystein sei Fleckentyphus ausgebrochen. Die
Ausfahrt von dort ist durch amerikanische Posten gesperrt, so ist jede
Verbindung nach dahin und von dort her unterbunden. Amerikanische
Soldaten, die am 17. Mai aus Richtung Tschechoslowakei kommend, in der
Seltmann-Fabrik einquartiert werden, müssen sich einer Fleckfieberimpfung
durch ihre Ärzte unterziehen.
Am
18. Mai ist ein Freudentag für die Stadt: Sämtliche bisher hier
kasernierten Russen, Polen und Italiener werden mit Lkw’s
abtransportiert. Keiner weint ihnen eine Träne nach, noch bis zuletzt
hatten sie ihre Visitenkarten durch nächtliche Unruhe, Unsichermachen der
Umgebung und Einbrüche, z.B. bei Kaufmann Brusch, abgegeben. Das hat nun
ein Ende!
Etwa
150 gefangene deutsche Soldaten werden von amerikanischem Militär in der
Post und im Gasthaus „Zur Eisenbahn“ untergebracht; desgl. diente auch
das Sägewerk Ach einer solchen Unterbringung. Am Tage dürfen sich die
Soldaten, unter Bewachung, auf dem Anger bei der Ledermühle aufhalten.
Die Einwohner versorgen sie mit Verpflegung und Rauchwaren. Die freie
Unterhaltung war gestattet, und hier und da traf der eine oder andere -
auch Flüchtlinge - Verwandte oder Bekannte.
Der
20. Mai bescherte den Christen das Pfingstfest - und ein pfingstliches
Wetter dazu, warm, hell, sonnig.
Eine
persönliche Notiz
Auf
der Flucht aus dem Sudetenland machten meine Frau, Eleonore Waetzmann,
geb. Stelzer, ich, Kanot und Lehrer Karl Waetzmann aus Groß-Wartenberg
und meine Tochter Ingeborg Wörner, geb. Waetzmann, Ehefrau des noch im
Wehrmacht-Sanitätsdienst stehenden Pastors Bernhard Wörner aus Haynau in
Schlesien, hier in Vohenstrauß Halt.
Wir
wollten rasten von den Strapazen und Anstrengungen des Vertriebenenseins.
Wir kamen aus Blisowa, Kreis Bischofteinitz, wo ich noch als Lehrer an der
dortigen Schule eingesetzt war.
Hier
in Vohenstrauß fanden wir in dem evangelischen Pfarrhaus eine freundliche
Aufnahme. Es sei gestattet, den Pfarrersleuten Herrn Ludwig Hopf und
seiner Gattin, an dieser Stelle Dank dafür zu sagen, daß sie
Ostvertriebenen Ruhe gewährten nach soviel Unruhe und Angst. Ein
herzliches „Vergelt’s Gott“!
Für
meine Ehefrau wurde es in Vohenstrauß die letzte Ruhestätte, Gott holte
diese nierenkranke, durch Strapazen bis zum Äußersten geschwächte, gute
und treue Frau am 30. Juni 1946 zu sich zur ewigen Ruhe. Sie, die die
Sehnsucht im Herzen nach der östlichen Heimat hatte, fand das letzte Plätzchen
auf Erden auf dem hiesigen Friedhof - von hier aus hält sie ihren Einzug
in die ewige Heimat.
Gott
schenke ihr Frieden und lasse sie in Herrlichkeit schauen, was sie hier
auf Erden geglaubt hat.
Reste
in pacem!
Fahren
wir in der lokalen Berichterstattung fort:
Zum
ersten Mal erscheint als erste Zeitung „Der Bayerische Tag“, später
die „Regensburger Post“. Beide werden in der Kanzlei des Rathauses zum
Preise von 20 Pfg. das Stück verteilt.
Am
22. Mai will man wieder das Altersheim besetzen. Nach Rücksprache mit dem
amerikanischen Feldgeistlichen nimmt man aber davon Abstand. Das Haus ist
als kirchliches Gebäude von einer Beschlagnahmung frei.
Wieder
setzt der Flüchtlingsstrom unvermindert von neuem ein. Trecks um Trecks
durchfahren die Stadt. Flüchtlinge, die vor 17 Uhr eintreffen, müssen
weiterfahren. Gespannbesitzer müssen Flüchtlinge weiterschleusen, gewöhnlich
bis Waldthurn. Von dort übernehmen sie die dortigen Gespannbesitzer.
Alles, was nach 17 Uhr eintrifft, wird verpflegt und darf hier übernachten.
Ein
tödlicher Zwischenfall
Ein
deutscher Soldat, der mit dem Rade in Richtung Moosbach fuhr, wurde am 24.
Mai von amerikanischen Soldaten erschossen. Er fuhr trotz Aufforderung,
anzuhalten, weiter, Es wurde bei ihm gefunden: ein Trauring, 1938
eingraviert, etwas Wäsche und ca. 200 RM. Da er keinerlei Papiere bei
sich trug, wurde er am folgenden Tage, dem 25. Mai, auf dem hiesigen
Friedhof beerdigt.
Ich
füge hier einen Nachtrag zu diesem Vorfall ein: Über den Tod dieses
unbekannten Soldaten habe ich erst im Zuge meiner jahrelangen Forschungen
insgesamt zu den Vorgängen in Vohenstrauß von 1945 im Mai 1950 Folgendes
in Erfahrung bringen können:
Am
24. Mai 1945 klopfte gegen 6 Uhr morgens ein fremder Soldat an die Haustür
von Familie Fuchs in der Wittschauer Gasse Nr. 87, gegenüber der
katholischen Kirche. Er war bekleidet mit einer Drillichjacke und einer
Militärhose; auf dem Rücken trug er einen Rucksack. Er erkundigte sich
bei Frau Fuchs, wie er wohl am besten und auf kürzestem Wege aus der
Stadt käme, ohne den Amerikanern in die Hände zu fallen. Sie wies ihm
einen Weg nach der Reichsstraße 14 in Richtung Braunetsrieth und weiter
zur tschechischen Grenze. Dort wollte er angeblich seine Einheit suchen.
Nach kurzer Zeit hörte Frau Fuchs drei Schüsse fallen. Ihre Annahme, daß
die Amerikaner nun doch den Soldaten entdeckt hätten, hatte sich
bewahrheitet. Der Soldat hatte von Frau Fuchs den Weg hintenherum am
Finanzamt und an der Gärtnerei Hofmann vorbei nach der Reichsstraße
geschildert erhalten. Er ging auch an der Gärtnerei Hofmann vorbei auf
dem Hohlweg, der bei der Gendarmerie-Station in die Reichsstraße einmündet.
Dort glaubte er, sicher zu sein und bog auf seinem Fahrrad in die Straße
ein. Hier stand an der Ecke ein Doppelposten der Amerikaner. Dieser sagte
später aus, sie hätten den deutschen Soldaten angerufen und zu halten
aufgefordert. Er aber fuhr weiter, worauf sie feuerten. Von drei Schüssen
getroffen, stürzte er vom Rad und war sofort tot. Aus der gegenüberliegenden
Gendarmeriestation beobachteten Gend.-Oberwachtmeister Josef Jäger und
seine Frau den Vorgang.
Man
ließ zunächst den Mann, das Rad und den Rucksack liegen. Nach der Ablösung
meldete der Doppelposten das Geschehen den amerikanischen Kommandanten.
Desgleichen wurde von dort die Städtische Kanzlei verständigt. Damaliger
Polizeichef war ein Herr Dr. Happ.
Nun
wurde Franz Kurzka, seinerzeit Friedhofswärter, benachrichtigt, den Toten
zu bergen. Er brachte zusammen mit Andreas Eichelt den Soldaten in den städtischen
Stadel, gegenüber dem Grundstück von Bamler. Dort nahm man dem Toten,
was er bei sich getragen hatte, ab: den Rucksack mit etwas Wäsche, ein
Messer und ein Brustbeutel. In letzterem befand sich eine Uhr, ein
Trauring (1938 eingraviert) und etwas über 200 RM. Man gab alles in der
Kanzlei ab. Militär- und andere Papiere fand man nicht.
Am
25. Mai nachmittags 4 Uhr wurde der Mann von Franz Kurzka und Andreas
Eichelt als „unbekannter“ Soldat still beigesetzt. Sein Grab bekam die
Nr. 301. Den Sarg lieferte Schreinermeister Eduard Kohler, Schulgasse Nr.
28.
Erst
im Jahre 1946 gab die amerikanische Militärregierung die Papiere, die man
dem Toten doch abgenommen hatte, heraus, und so konnte er identifiziert
werden:
Sein
Name ist: Otto Erkelenz; geb. am: 7. März 1914 in Köln, - gefallen am:
24. Mai 1945 in Vohenstrauß. Seine letzte Einheit war: 5. Komp./Landesschützen-Batl.
Nr. 554. Seine Erkennungsmarke: Wehrkrs. - Ers. Dep. VI 30 232.
Erkelenz
war verheiratet; im Zivilberuf war er kfm. Angestellter. Man
benachrichtigte seine Frau. Die erschien auch einmal eines Tages mit ihrem
9jährigen Jungen bei Frau Fuchs, wo sie auf einem gemeinsamen Gang zum
Friedhof die Vorgänge von damals erfuhr.
Frau
Fuchs pflegt weiterhin den mit einem Birkenkreuz versehenen Grabhügel.
Hierbei
seien noch zwei Bemerkungen betreffs unseres Friedhofes eingefügt:
Er
birgt noch zwei Soldatengräber. Nach dem Einmarsch der US-Armee am 24.
April 1945 wurden in der Gegend der Städtischen Turnhalle gegen ¾ 8 Uhr
zwei SS-Soldaten erschossen. Ein Kampf hat nicht stattgefunden. Einige in
der Turnhalle untergebrachte Zivilpolen, die auf den Dörfern gearbeitet
hatten und nun von der Stadt hier verpflegt wurden, mußten die Toten
zwischen Turnhalle und Schützenhaus, so wie sie lagen, eingraben.
Erst
am 10. Mai 1945 wurden beide von Franz Kurzka und Andreas Eichelt
ausgegraben. Wertgegenstände und Papiere kamen bei der Exhumierung nicht
zum Vorschein. Nachdem Herr Tischlermeister Johann Kirner- Brauhausgasse
49/95 - die Särge geliefert hatte, wurden auch diese unbekannten Soldaten
gegen 9 Uhr vormittags am 10. Mai 1945 an der Kirchhofsmauer, nordöstlich
vom hohen Kreuz, still beerdigt. Birkenkreuze mit Stahlhelmen bezeichnen
ihre Ruhestätte. Unbekannte Hände schmücken auch diese Gräber stets
mit Blumen.
Ferner:
Franz Kurzka, als Friedhofsverwalter, konnte mir mitteilen, daß die
Sterblichkeitsziffer in den Jahren 1945/46 außerordentlich hoch gewesen
sei.
1945:
97 Beerdigungen -
1946:
fast die gleiche Zahl.
Es
mangelte bald an Beerdigungsplätzen. Der neue Teil des Friedhofes wurde
erst 1946 angelegt. Die hohe Sterblichkeitsziffer in den genannten Jahren
dürfte in der damals mangelhaften Ernährung ihre Erklärung finden.
Soweit der Nachtrag aus dem Jahre 1950.
Begeben
wir uns zurück in das Schicksalsjahr 1945.
Da
strömen uns Radiomeldungen entgegen, wonach die Flieger Mölders und Udet
sowie Staatsrat Todt (früher Aufbauwerk Organisation Todt), die alle
einst ein Staatsbegräbnis erhalten hatten, also für tot erklärt worden
waren, - jetzt lebend in einem KZ-Lager aufgefunden worden sein sollen.
Und: Himmlers Verhaftung sei gelungen - aber er habe sich durch Gift der
irdischen Justiz entzogen. Schließlich: bis zum 5. Juni 1945 müssen alle
Reichsdeutschen die Tschechoslowakei verlassen haben.
In
Vohenstrauß wird Landrat Schindelbeck verhaftet.
Am
27. Mai feiern beide Konfessionen das Trinitatisfest. Um 2 Uhr nachmittags
ist Gottesdienst protestantischer Amerikaner in der ev. Kirche. Etwa 200
Mann mit ihren Offizieren nehmen daran teil. 30 Personen gingen anschließend
zum Heiligen Abendmahl. Hierbei werden Einzelkelche gereicht. Zu jedem
Gottesdienst verteilt ein Diakon gedruckte Texte mit dem Bild der Kirche.
Glaubensbekenntnis und Vaterunser werden gemeinsam gesprochen. Ein
ausgebildeter Bariton (Sänger) ist zugleich ihr Organist. Er singt oft im
Gottesdienst Arien deutscher Komponisten (Haydn, Wolf), die Herr Karl Pöllmann,
Organist der kath. Kirche in Vohenstrauß, auf der Orgel begleitet.
An
zwei Tagen steht der Zivilbevölkerung das Städtische Bad zur Verfügung.
Die übrigen Tage wird es von den 600 Mann Besatzung benutzt.
Ebenso
wird das Kino fleißig von den Soldaten besucht. Die Zivilbevölkerung hat
hier noch keinen Zutritt.
Weiter
kommen Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei in Massen hier durch.
Erfreulicherweise
ist die Stromzufuhr wieder in Gang gebracht worden.
Saarländer
und Hamburger (sogen. Evakuierte) kehren heim. Mit einheimischen Lkws
geschieht ihr Rücktransport bis nach Wernberg. Dort übernehmen
Wernberger Autos die Weiterfahrt. Manche Wagen gehen allerdings direkt bis
Hamburg durch, um auf der Rückfahrt Waren von dort herzubringen. Da
Hamburg sehr zerstört ist, finden manche Rückwanderer kein Quartier und
müssen Aufnahme in einem Sammellager finden.
Von
hier verlassen nun auch die letzten Reste des KLV-Lagers Hamburg die
Stadt.
Der
Lagerleiter Noelle wird von den Amerikanern verhaftet. Er hat Ausrüstungsgegenstände
seiner HJ-Jungen (Fahrtenmesser u.ä.) nicht abgeliefert, sondern
vergraben - angeblich auf Befehl seines Gauleiters.
8.
Juni - Besatzungstruppen lösen die Kampftruppen ab
Am
8. Juni 1945 treffen die eigentlichen Besatzungstruppen für Vohenstrauß
und Umgebung hier ein. Sie lösen die bisherige Kampftruppe ab.
Das
Rathaus wird von ihnen fast vollkommen belegt. Auf sie geht die Aufsicht
über Stadt und Landkreis über. Von 800 Mann bleibt die Hälfte in der
Stadt, die anderen verteilen sich auf Altenstadt, Eslarn, Waidhaus u.a..
Die
Ausgehzeit wird bis abends ½ 10 Uhr verlängert. Man kann sich jetzt auch
20 km im Umkreis vom Ort entfernen, vorausgesetzt, daß man seinen Ausweis
mit sich führt. Ein Überschreiten der Tschechischen Grenze ist verboten.
Bei
den Flüchtlingen mehren sich recht häufig die Todesfälle. Ursachen sind
Tbc (Tuberkulose), bei alten Leuten Unterernährung und Erschöpfung, bei
kleinen Kindern der Mangel an Pflege und Ernährung (vgl. oben die hohe
Sterblichkeitsziffer).
Pfarrer,
Ärzte, Krankenschwestern und politisch unbelastete Personen erhalten Pässe
für die Nacht von der Kommandantur ausgestellt.
Nachtpatrouillen kontrollieren sie.
Jeder
Einwohner erhält einen Registrierschein, den er stets bei sich zu führen
hat und der auf Verlangen den Hütern der Ordnung vorzuweisen ist. Viele
Grenzgänger werden verhört und festgehalten, so ist im Rathaus ein
lebhafter Betrieb, ein ständiges Kommen und Gehen. [...]
Das
Leben in der Stadt nimmt wieder seinen normalen Gang
Das
Stadtbild wird belebt durch das Militär. Bei dem amerikanischen
Kommandanten erscheint eine Abordnung der Volksdeutschen aus Batschka (Rumänien).
Sie sind in Pleystein untergebracht. Ihre Bitte ist: der Kommandant möge
sich doch der jungen Deutschen ihrer Heimat, etwa 58.000 Mann (!)
annehmen, welche 1942 gezwungen wurden, in SS-Formationen einzutreten.
Aber
würde selbst bei Weiterleitung dieser Bitte eine nützliche Hilfe
herausspringen? Dem Chronisten ist leider der Ausgang dieser Sache nicht
bekannt geworden.
Auf
den hier durchziehenden Trecks befinden sich übrigens auch Volksdeutsche
aus der Bukowina. Sie sind sehr niedergeschlagen, die Sehnsucht nach der
Heimat frißt in ihren Herzen genauso wie in denen aller Deutschen vom
Osten; doch wissen alle nicht, ob ihnen der Russe je die Rückkehr in die
urdeutsche Heimat gestatten wird!
Am
25. Juni wird die Kreis- und Stadtsparkasse wieder eröffnet.
Als
Landrat des Kreises Vohenstrauß wird von der Kommandantur aus Herr Kr.
Friedrich, ein Studienprofessor aus Weiden, eingesetzt. Zum ersten Bürgermeister
wird Kaufmann Karl Ries, zum zweiten Bürgermeister Schneidermeister Hans
Kett von hier eingesetzt und bestätigt.
Wieder
beziehen 200 Polen das Schulhaus, die rot-weiße Polenfahne verkündet
ihre Anwesenheit.
Die
Dienstzeit des amerikanischen Organisten ist (entsprechend seiner
Punktzahl) um; er kehrt, angeblich an eine Oper verpflichtet, nach Amerika
heim. Der Verfasser dieser Chronik übernimmt als Kantor und Lehrer das
Orgelspiel im Truppengottesdienst. Die Gottesdienste sind stets gut
besucht.
Der
Anfang des Monats Juli bringt nichts von Bedeutung. Handel und Wandel
gehen ihren geordneten Gang. Landwirte, Beamte, Gewerbetreibende haben
ihre ausreichende Beschäftigung.
Zwar
ist der Strom der durchziehenden Trecks noch nicht abgerissen, aber es
kommen doch schon weniger Flüchtlinge hier an. Der Grund dürfte vor
allem darin zu suchen sein, daß auf beiden Seiten die Grenzen geschlossen
sind.
Am
15. Juli wird der amerikanische Geistliche Edgar H. Stohler nach USA zurückgerufen.
Sein Nachfolger wird Chaplain Neighbours. Wir tragen hier auch den Namen
des ausgeschiedenen amerikanischen Baritons und Organisten nach: er hieß
S/Sgt. B. A. Loring. Der Diakon war Chaplain M. Veltkamp.
Was
die Non-Fraternitätsbestimmungen der amerikanischen Soldaten gegenüber
der deutschen Zivilbevölkerung betrifft, so ist zu vermelden, daß es den
Soldaten verboten war, mit dem Einwohnern zu verkehren, ja nicht einmal
mit ihnen zu sprechen oder ihren Namen zu nennen. Jetzt wurde diese
Bestimmung aufgehoben. Nach Aufheben dieser Nichtverbrüderungs-Bestimmung
trat die Besatzungsmacht rasch in ein freundliches Verhältnis zur Bevölkerung.
[...]
Mitte
Juli ziehen die Polen die rot-weiße Fahne ein, räumen das Hauptschulhaus
und verschwinden.
Deutsche
Kriegsgefangene, die in der Selrmann-Fabrik untergebracht sind, werden täglich
zur Arbeit (Wegebau) geführt. Über Unterbringung und Verpflegung ist bei
ihnen kein Anlaß zur Klage. Für sie werden auch Gottesdienste
abgehalten.
Ab
23. Juli kommen auch wieder Postsachen an und das Postscheckamt arbeitet
erneut.
Ein
Großer Teil der Besatzung rückt ab, es bleiben nur wenig Panzer und
Fahrzeuge hier.
Vielleicht
im Zusammenhang damit durchläuft am 24. Juli wieder die Fama die Stadt -
diesmal mit einer Alarmnachricht: angeblich soll die amerikanische
Besatzung durch russische Truppen abgelöst und die tschechische Grenze
bis zur Wald-Naab vorverlegt werden. Die Stimmung der Bevölkerung sank
auf Null.
Es
war eben doch nur ein Gerücht - der Traum der Tschechen!
Ende
Juli setzt, auf Anordnung der Kommandantur, eine Säuberung der Ämter von
Pgs (Nazi-Parteigenossen) ein. Auch Mitglieder der „Frauenschaft“
werden entlassen. Der einstige Landrat Schindelbeck verliert seine
Wohnung, die Einrichtung wird beschlagnahmt. Auch Forstmeister Wolf wird
seines Amtes enthoben.
Anfang
August ereignen sich keine nennenswerten Vorgänge. Bahn, Post und Güterverkehr
kommen zu der letztmöglichen Ordnung. Auf den Chausseen patrouillieren in
Jeeps (amerikanische Heeresautos) noch immer Soldaten zur
Aufrechterhaltung der Ordnung, was von der Bevölkerung dankbar begrüßt
wird. Weniger angenehm sind, infolge des bestehenden Waffenverbots,
morgendliche Kontrollen in den Häusern der Einwohner. Diese Maßnahmen
galten aber auch amerikanischen Gegenständen, da leider in die Lager der
Besatzungsmacht eingebrochen worden war.
Ein
Denkmal, an der Straße Vohenstrauß-Braunetsrieth, das einem SA-Mann
gewidmet war, wird still beseitigt. Jener SA-Mann verunglückte an der
Stelle tödlich.
In
der Umgebung von Vohenstrauß finden sich zwei Grabinschriften, die zu
Soldatengräbern gehören:
-
Bei Burgtreswitz: Willy
Nowaczyk aus Dortmund-Brambauer.
Ich
brachte in Erfahrung, daß N. ein SS-Mann war und bei der Besetzung des
Dorfes auf Befehl des amerik. Kommandeurs der Panzerabteilung am 24.4.45
erschossen wurde.
-
Im Walde zwischen Vohenstrauß und Burgtreswitz:
Max Koch aus Coburg.
(Vgl.
den Bericht über den Kreis, Teil II., über Burgtreswitz.)
Herr
Landrat Dr. Friedrich geht wieder nach Weiden zurück in ein Schulamt.
Es
wird nun Herr Hans Pösl, aus Saubersrieth stammend, durch den
Kommandanten zum Landrat des Kreises Vohenstrauß eingesetzt.
Am
Sonntag, dem 10. August, nachmittag 3 Uhr, beruft der Stadtkommandant eine
Versammlung sämtlicher Bürgermeister des Kreises und der Geistlichen im
großen Rathaussaal. Seine Ansprache wird durch eine Dolmetscherin, Frau
Jura, übersetzt. Er sprach über das Thema:
„Was
die amerikanische Besatzung will!“
Wir
referieren hier den Sinn seiner Worte: Man wolle amerikanischerseits
Ausmerzung des Nazitums, nie wieder einen Angriffskrieg durch Deutschland.
Andererseits wolle man den Deutschen helfen, daß sie ihr Leben selbst
gestalten können, um später wieder in den Kreis friedliebender Nationen
eingereiht zu werden. Betont wurde, daß sich noch immer eine, oft
versteckte, aber doch fühlbare, starke Opposition bemerkbar mache, so
besonders im Nichtbefolgen von Anordnungen der Militärbehörde. Das trage
nicht zum Vertrauen beider Partner bei. Es fehle noch der demokratische
Geist. Diesen Geist der Gemeinschaft müsse man erleben und dem
heranwachsenden Kinde und Jugendlichen vorleben. Unsere ganze Hoffnung und
Liebe wird diese deutsche Jugend sein. Ihr wollen wir helfen, sie speisen
und kleiden und ihren Geist wollen wir lenken und bilden.
Herr
Landrat Bösl dankt dem amerikanischen Major für seine zu Herzen gehenden
Worte und verspricht einen reibungslosen Verkehr zwischen Bevölkerung und
Besatzung zu sichern und alles zu tun, was in seinen Kräften stehe. Er
bittet gleichzeitig die anwesenden Bürgermeister, ihr Amt in Treue und
Sorgfalt zu führen. Nur so können auch sie ihn in seinem Amte unterstützen.
Soweit
der Bericht von dieser Versammlung.
Am
14. August sollen die letzten noch hier weilenden Polen von Weiden aus mit
der Bahn abtransportiert werden. Einige kehren später zurück.
Anfang
Juli wurde Dr. Wisbert, ein Evakuierter, Polizeichef.
Bis
Ende August mußte man vom Bürgermeister einen Erlaubnisschein
beibringen, wenn man die Eisenbahn benutzen wollte. Ziel, Zweck und
besondere Gründe waren darauf vermerkt. Vom 1. September ab darf nunmehr
die Bahn ohne Genehmigung der Militär- und Zivilbehörde benutzt werden.
Doch darf das Ziel der Reise 50 km nicht überschreiten.
Beisetzung
der Opfer der Todesmärsche in Pleystein
Am
2. September wurden 140 KZ-Opfer des Naziterrors in schlichten Särgen
mitten auf dem Pleysteiner Marktplatz beigesetzt.
Bisher
waren diese Armen wahllos verstreut auf Wiesen, Feldern und in Wäldern,
bisweilen in Massengräbern oder einzeln verscharrt gewesen. Man wollte
ihnen nun eine würdigere Beisetzungsstätte schaffen. Dazu sollte
Pleystein entweder einen Teil des Friedhofes oder daran anschließend Land
zur Verfügung stellen. Es gab der amerikanische Major in Vohenstrauß
selber durch Befehl den unschuldigen Opfern einen würdigen Raum in der
Mitte des Marktplatzes.
Parteigenossen
wurden zu den Ausgrabungen herangezogen. Der BDM (Bund Deutscher Mädel)
mußte zur Beisetzungsfeierlichkeit Kränze winden. Aus jedem Hause hatte
sich ein Einwohner an der Feier zu beteiligen. Die Feierliche
Veranstaltung fand um 9 Uhr mit einem Requiem und einer Rede des dortigen
Stadtpfarrers Wittmann statt.
Zwischen
den Gräberreihen, die namenlos sind, ist ein schlichtes Denkmal
errichtet; ein Granitblock mit einer Opferschale und einer zweiseitigen
Inschrift:
„Hier
ruhen 140 Männer aller Nationen,
die
von der SS grausam ermordet wurden“
Nachtrag:
Ende November 1949 wurden diese Toten abermals umgebettet und zwar
nach Rücksprache mit den amerikanischen Behörden nach Neunburg vorm
Wald. Hier fanden sie ihre endgültige, ebenfalls würdige Ruhestätte.
Am
3. Sept., früh um 5 Uhr, erfolgte schlagartig eine Hausdurchsuchung aller
Grundstücke durch amerikanisches Militär. Man fahndete wieder einmal
nach Waffen und Plünderungsgut. Die Aktion verlief fair und human, und
die Einwohner kamen mit dem Schrekken davon.
Da
die katholische Haushaltungsschule für Schulzwecke gebraucht wird, werden
Evakuierte aus Köln im ev. Kinderheim untergebracht. Nur einige
schlesische Vertriebene bleiben dort, wo sie bisher untergebracht waren.
Am
18. September verläßt Polizeichef Dr. Wisbert die Stadt. Sein Nachfolger
ist der Sudetendeutsche Bruno Hannewald.
Infolge
starker illegaler Grenzgängerei ist das Gefängnis oft überbelegt. Die
illegalen Grenzgänger werden zu Protokoll vernommen und dann entweder
abgeschoben oder auf ihren Wunsch in ein deutsches Auffanglager gebracht.
Zeitungen
erscheinen wieder, aber noch in beschränkter Anzahl. Sie werden in der
Kanzlei weiterhin ausgegeben.
Die
Einwohner versuchen, soweit Material heranzubringen ist, ihre Häuser und
Wohnungen, die durch Beschuß gelitten haben, wieder in Ordnung zu
bringen. Denn bald naht der Winter. Augenblicklich sind noch schöne
Herbsttage, und die Hackfruchternte kann beginnen. Besonders gut sind
diesmal die Kartoffeln geraten. So sehen die Menschen mit weniger Sorge
dem Jahresende und Winter entgegen. Gering war allerdings die
Fettzuteilung, welche auf Marken rationiert ist. Dagegen kann man mit der
Fleischration zufrieden sein.
Schließlich
ist in Betracht zu ziehen, daß wir auf engem Raum zu viele Menschen sind,
die alle versorgt sein wollen. Bei dem noch ständig anhaltenden Zuzug von
Menschen aus der Tschechoslowakei, wo nun auch die letzten Deutschen das
Land verlassen müssen, macht sich allmählich auch der Wohnungsmangel
bemerkbar.
Ein
Wohnungsamt, bestehend aus dem 2. Bürgermeister und 2 Ratsherren, sorgt für
möglichst gerechte Zuteilung an Wohnraum und stellte gleichzeitig die
Schlichtungsbehörde bei Streitigkeiten dar. Ihm anzugehören war keine
leichte Aufgabe, weil es naturgemäß ständig Reibungsflächen unter den
Wohnparteien gab.
Ein
Flüchtlingskommissar vertrat die Belange der aus dem Osten Vertriebenen.
Und zwar vertrat er diese Belange gegenüber der einheimischen Behörde.
Auch sein Amt war kein beneidenswertes. Ihm fehlten vielfach auch die
materiellen Mittel, um bei dem Mangel an den allernötigsten
Gebrauchsgegenständen in den meisten Fällen helfend eingreifen zu können.
Schließlich brachten die Vertriebenen nur ganz wenig Gepäck auf
bestenfalls kleinen Wagen oder gar nur Handwagen mit oder u. U. nur das,
was sie in den Händen hatten tragen können. Von den Leid der
Vertriebenen wollen und können wir hier nicht in Einzelheiten berichten.
Die unendlichen Roheiten, Vergewaltigungen, Menschenunwürdigkeiten und
was noch mehr an körperlichem und seelischem Leid angeführt werden müßte,
das alles ist an zuständigen Stellen aufgezeichnet und wird der Nachwelt
zur steten Abschreckung aufbewahrt werden. [...]
Das
Erntefest 1945 nahte. Eine gute Jahres-Mittel-Ernte war unter Dach und
Fach gebracht worden und in den Kirchen sang man. [...]
Nach
und Nach werden die Besatzungstruppen verringert. Man spürt sie schon
kaum mehr. Das Verhältnis zur Zivilbevölkerung ist ein gutes. Sie gewähren
uns Schutz gegen den unruhigen Nachbarn. Ihre motorisierten
Polizeistreifen auf den öffentlichen Straßen erhöhen unsere Sicherheit;
denn noch immer geschehen Einbrüche und Räuberei auf einsam gelegene Höfe.
So kommt der Winter heran. Die Kohlenknappheit macht sich sehr empfindlich
bemerkbar. Man ging in den Wald und sucht dürres Holz, Tannen- und
Kiefernzapfen, um den zugebilligten Holzvorrat (pro Haushalt 2 Ster) zu
strecken. Viele Familien kochen gemeinsam, um so möglichst viel Holz zu
sparen. Leider fehlte für alte Leute eine Wärmehalle, die als Tagesraum
dienen konnte.
Weihnachten,
das Fest der göttlichen Liebe und Treue steht vor der Tür. [...] Die
Amerikaner, unter Führung ihres Majors, stifteten von ihren
Weihnachtsgeschenken Gaben für Arme und für Insassen des hiesigen
Krankenhauses. So brachten auch sie Licht und Freude. Auch den Kindern und
alten erwerbsunfähigen Menschen wurden Geschenke der Besatzungsmacht und
Spenden des BRK
in einer Christfest-Feierstunde beschert.
Langsam
neigte sich das Schicksalsjahr 1945 seinem Ende zu! Die Sylvesterglocken läuteten
das alte Jahr zu Grabe, ein neues hat angefangen. - Möge es ein Jahr der
Gnade sein! Cum Deo - Mit Gott!
Anmerkungen:
Der Oberlehrer a. D. Karl Albert Otto Waetzmann kam am 11. Juni
1945 als Flüchtling aus Schlesien nach Vohenstrauß. Geboren am 4.
Mai 1885 in Groß-Wartenberg/Schlesien, kam er über Blisowa/Böhmen
nach Vohenstrauß. Er verstarb am 11. Mai 1966 in Metelen/Westfalen.
Karl Waetzmann hat die Recherchen über die Begebenheiten in
der Stadt und dem Altlandkreis Vohenstrauß in den Jahren 1948 bis
1951 auf Bitten der Stadt Vohenstrauß gegen Honorar durchgeführt.
Die Erinnerung war noch frisch, die Daten zuverlässig. Er führte
Recherchen durch, befragte seinerzeit Zeitzeugen, holte Informationen
von allen möglichen Stellen und Personen ein und schrieb die
Dokumentationn auch nach eigenem Erleben. Es entstand ein Geheft von
ca. 132 Schreibmaschinenseiten, das in der vorliegenden Fassung
sprachlich unverändert, wenn auch gekürzt wiedergegeben wird. Die Kürzungen
beziehen sich lediglich auf allgemeine Ausführungen, die mit der
Vohenstraußer Situation nicht direkt zusammenhängen. Der Übersichtlichkeit
halber wurde der Text vom Herausgeber in Kapitel aufgeteilt und mit
zusätzlichen Überschriften bzw. auch Fußnoten versehen.
Schutz-Staffeln, s.a. Toni Siegert, Kriegsende ´45 in
Nordostbayern, Heimat - Landkreis Tirschenreuth, Sonderband 2, 1995,
S. 68: " Welche
SS-Truppe es an einem bestimmten Ort im einzelnen war, die in diesen
letzten Kriegstagen die Oberpfalz nicht etwa sicherer, sondern
umgekehrt unsicher machte, ist aufgrund der schlechten Quellenlage
nicht mehr nachvollziehbar.
In der historischen Forschung gilt inzwischen als Tatbestand
gesichert, daß sich [...] in Bayern insbesondere das berüchtigte
XII. SS-Armeekorps unter SS-Gruppenführer und Generalleutnant der
Waffen-SS Max Simon hervortat [...]"
[4]
Konzentrationslager, s.a. Toni Siegert, Kriegsende45 in Nordostbayern,
Heimat - Landkreis Tirschenreuth, Sonderband 2, 1995
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt
s.a. Peter Heigl, Konzentrationslager Flossenbürg, Regensburg,
Buchverlag der Mittelbayerischen Zeitung, 1989, S. 17 - 52
- s.a. Toni Siegert,
30000 Tote mahnen, Taubald Weiden, 1984, S. 61 - 68
s.a. Rainer Ostermann, Kriegsende in der Oberpfalz, Ein
historisches Tagebuch, Regensburg, Buchverlag der Mittelbayerischen
Zeitung, 1995, S. 136-137